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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen
Autoren: Richard Swartz
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wollte, doch wo der Wiener sich mit dem begnügt, was es zu sehen gibt und was geschieht, bevor der Vorhang aufgeht, die Lichter gedämpft werden und alle immer noch im Halbdunkel sitzen, war der Mann auf viel mehr erpicht, auf die größtmögliche Dunkelheit.
    Und dazu bedurfte es einer Oper, in der lange Schatten ins Herz wie in die Seele fallen, aber vor allem auf die Bühne selbst, zugleich etwas musikalisch Leichtes, nichts zu Anspruchsvolles, das seine Frau dazu bringen würde, zu Hause zu bleiben und ein ganz anderes Stück ohne Dunkelheit vorzuschlagen, und als der Mann im Programm der Herbstsaison blätterte, blieb er am Freitag, dem zwanzigsten November, bei Carl Maria von Weber hängen.
    Der Freischütz in der Regie von F. C. Dachsmeier stand an jenem Abend auf dem Programm. Also schon in einer Woche, und die Wahl des Freischütz gefiel, wie sich zeigte, allen vieren, wobei der Mann sich ganz sicher war, dass ein Regisseur wie Dachsmeier es nicht wagen würde, etwas an den Bühnenanweisungen zu ändern, sondern mit seinem Mangel an Talent eher noch zur Verdunkelung beitragen würde. Dachsmeiers sogenannte Kunst bestand ja in der ängstlichen Übertreibung, darin, dicke Striche unter das zu machen, was schon da war, rosige Wangen noch rosiger erscheinen zu lassen, einen starken Tränenfluss in einen Wasserfall von Trauer zu verwandeln, einen Tag Tag sein zu lassen und eine Nacht nichts anderes als Nacht, erleuchtet nur von einer verblassten Mondscherbe, und Jahrhunderte europäischer Kunstgeschichte sind Beweis genug, dass gerade solche Dilettanten zu den zuverlässigsten Mittätern werden.
    Endlich würde der Mann den Anwalt treffen, der mitteilen ließ, er würde direkt von der Kanzlei in die Vorstellung kommen, und da es sich um einen Freitag handelte, war die Ehefrau des Mannes schon bei der Friseuse gewesen, von wo aus sie sich ebenfalls direkt zur Oper begeben würde, ihn aber bat, als eine besondere Höflichkeit ihre Freundin, die Frau des Anwalts, mit dem Taxi abzuholen.
    Sie wohnen gar nicht weit von uns, sagte die Ehefrau. Und der Mann versprach, es zu tun.
    Als das Taxi vor der Haustür hielt, stand seine Geliebte schon in einem großen Pelz unten auf der Straße und wartete. Sie setzte sich neben ihn auf den Rücksitz, und als das Taxi von der Theobaldgasse hinunter in die Gumpendorfer Straße einbog, küsste er sie, steckte ihr seine Zunge in den Mund und spürte ihr starkes Parfum in der Nase; Gewitter mit Regen lag in der Luft, und der Fahrer drehte sich um und sagte, bei einem Wetter wie heute Abend dürfte es schwer werden, über den Karlsplatz und die Museumstraße bis zur Oper zu gelangen, wenn es zum Regnen kommt, stehe der gesamte Verkehr zum Naschmarkt still, sagte der Fahrer. Deshalb sei es besser, es über die Hofburg zu versuchen, obwohl das natürlich ein Umweg sei, aber bei einem Wetter wie heute Abend brauche man weniger Zeit für die Strecke, und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der Fahrer geradeaus, um unten am Getreidemarkt rechts abzubiegen, und neben dem Mann auf dem Rücksitz saß seine Geliebte, die Frau des Anwalts, in einem Pelz aus den teuren Fellen von kleinen, aber sicher sehr seltenen Tieren, völlig uninteressiert an dem, was der Fahrer zu sagen hatte, wie dem Mann schien.
    In ihrem großen Pelz wirkte die Frau genauso vornehm wie jemand mit eigener Loge in der Wiener Staatsoper, und nachdem das Taxi den Getreidemarkt überquert hatte und dann von der Schillerstraße nach links zu den beiden Museen abgebogen war, erklärte der Mann ihr seinen Plan, aber flüsternd, so dass der Fahrer es nicht hören konnte, was gibt es heute Abend in der Oper, sagte der Fahrer plötzlich, und als der Mann Der Freischütz antwortete, pfiff der Fahrer wie auf Bestellung die ersten Takte der Ouvertüre, aus reiner Liebe zur Opernkunst, wie der Mann vermutete, und so, dass auch das Paar auf dem Rücksitz hören konnte, wie zufrieden er mit sich selbst war, dieser Taxifahrer, der sicher verschiedene Ouvertüren und Arien im Repertoire hatte, und während das Taxi von der Museumstraße in den Ring abbog, saß die Frau lange regungslos und stumm neben dem Mann, bevor sie flüsterte, so dass es der Fahrer nicht hören konnte, du willst mich also heute Abend in der Oper nehmen.
    Das klang mehr wie eine Feststellung als wie eine Frage, und das Taxi hatte jetzt das Parlament passiert, der Fahrer hatte recht gehabt, hier war gar nicht so viel Verkehr, ohne Schwierigkeiten gelangten sie zum
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