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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen
Autoren: Richard Swartz
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zurück ins Schlafzimmer ließen sie Unterwäsche und Schuhe auf dem Boden liegen, zu träge oder zu satt, um sich mitten in der Nacht mit einer solchen Unordnung zu befassen.
    Der Mann wünschte, dass sie sich rasierte. Sie schnürte ja schon seine Schuhe auf und zog ihm die Hosen aus. Ihre Leidenschaft war selbstlos und dienstbeflissen, und zunächst schien sie nicht befremdet von einer so unkeuschen Nacktheit, aber es wurde nichts daraus. Vielleicht irgendwann in der Zukunft, sagte sie. Noch habe sie kein Vertrauen zu ihm. Obwohl der Mann argwöhnte, die Sache mit dem Vertrauen sei ein Vorwand, der wirkliche Grund sei, dass sie für etwas so Augenfälliges keine angemessene Erklärung hätte, um sie ihrem Ehemann aufzutischen.
    Einmal klingelte das Telefon weit nach Mitternacht. Falsch verbunden? Aber bevor die Frau es geschafft hatte dranzugehen, hatte der Anwalt aufgelegt.
    Oft holte sie die Zigarren ihres Ehemanns für den Mann, obwohl dieser ja nicht rauchte, und trotzdem genoss er es, eine so teure Zigarre in den Mund zu stecken, wenn auch nur, um darauf herumzukauen oder daran zu lutschen. Der Mann genoss es, in der Theobaldgasse im Morgenmantel des Anwalts dazusitzen und die Hände in die seidenen Taschen zu stecken, während des ganzen Abends den Mann nicht einmal zu erwähnen, obwohl er ihn stets im Hinterkopf hatte und sogar seinen Morgenmantel trug, mit seiner nackten Ehefrau auf der anderen Seite des Tisches, und vor allem genoss es der Mann, dass sie ihm bald wieder ihre weißen Schenkel entgegenheben würde, dort auf dem Teppich im Speisezimmer oder im Doppelbett, und ein ums andere Mal fuhr er mit seinen Händen in die seidenen Taschen des Morgenmantels, als sei er den intimsten Heimlichkeiten des Anwalts auf der Spur, als habe dieser am Boden der Taschen etwas besonders Begehrenswertes versteckt, was sich aber jedes Mal nur als ein Zahnstocher, ein paar Wattebäusche oder eine kleine runde weiße Tablette erwies.
    Die Frau öffnete die Türen zum Kleiderschrank ihres Gatten. In einer langen Reihe hingen dort die Anzüge des Anwalts, nach Farbe und Muster sortiert, dunkel für Konferenzen oder Begräbnisse, während die hellen, in kariertem oder gestreiftem Stoff, wohl für die Freizeit gedacht waren, von welcher der Anwalt so wenig hatte, und aus den Anzügen im Kleiderschrank konnte der Mann schließen, dass es stimmte, was die Frau sagte; dies war ein hart arbeitender, erfolgreicher Anwalt, dessen Dienste sicherlich in weiten Kreisen gefragt waren, vermutlich auch im Ausland.
    Fast alle Anzüge waren maßgeschneidert, die Innenseite der Jacketts glatter und blanker als die Außenseite, und auf der Innenseite, dicht über dem Platz des Herzens, waren Etikette aus feinster Seide mit Namen wie Kniže, Adelmüller oder Braun eingenäht, und da der Mann schon den Morgenmantel des Anwalts anprobiert hatte, probierte er jetzt auch ein paar von seinen Jacketts.
    Aber keins passte. Die Ärmel waren zu kurz oder das Jackett in der Taille zu weit, und die Frau trat ein paar Schritte zurück und musterte den Mann mit einem Blick, der vermutlich genauso unbarmherzig war, wie wenn ihr Gatte und nicht ihr Liebhaber dieses Jackett trug, zieh ein Hemd an, damit ich besser sehen kann, ob es passt, sagte sie.
    Im Kleiderschrank befanden sich auch die Hemden des Anwalts, gebügelt und kunstvoll zusammengefaltet, mit einem schwachen Duft von Lavendel, lagen sie in Stapeln da. Aber der Mann wollte nicht. Er weigerte sich. Eines der Hemden des Anwalts anzuziehen vermochte er nicht, das schien ihm zu weit zu gehen, ein solches Hemd hätte doch keinen Platz zwischen ihm und dem Körper des Anwalts gelassen, wäre von seinem Schweiß getränkt worden und hätte bald mehr nach Mann als nach Lavendel gerochen, bevor es in der schmutzigen Wäsche gelandet wäre, um ein paar Tage später, wieder frisch gewaschen und gebügelt, dem Anwalt zur Verfügung zu stehen. Nein. Ein solches Anwaltshemd, einer zweiten Haut gleich, die aber nicht die seine war und in der er nichts zu suchen hatte, vermochte der Mann nicht anzuziehen; der Mann weigerte sich, und hätte die Frau darauf bestanden, hätte er es sofort wieder ausgezogen, so unerbittlich wie eine Schlange, die sich häutet.
    Den Gatten ersetzen konnte und wollte der Mann nicht. Eine solche Intimität wäre unanständig gewesen, ein Übermut, der einen viel größeren Verrat bedeutet hätte, als in Abwesenheit des Anwalts eins seiner Jacketts anzuprobieren oder ihn mit seiner
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