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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen
Autoren: Richard Swartz
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eigenen Ehefrau zu betrügen, und dennoch hatte die Frau natürlich recht, erst mit einem Hemd am Körper kann man erkennen, ob ein Jackett zu groß oder zu klein ist, ob die Ärmel zu kurz oder zu lang sind, und als die Frau einsah, dass sie ihn nicht zu einer eigentlich so einfachen Sache bewegen konnte, dass dieser Mann zwar bereit war, all ihre Wünsche oder Befehle im Bett des Anwalts zu befolgen, aber nicht vor seinem Kleiderschrank, wurden ihre braunen Augen schwarz, und die von den Bissen und Küssen des Mannes geschwollenen Lippen kräuselten sich, als hätte die Frau in etwas Saures gebissen, aber nur eine Spur, so dass der Mann wohl nichts bemerkt hätte, wäre da nicht dieser Wechsel der Farbe in ihren Augen gewesen. Nur die Gefühle, die in diesem Moment im Inneren der Frau aufgestiegen sein mochten, vermochte sie zu beherrschen, und sie schwieg.
    In solchen Momenten kam es vor, dass der Mann sich fragte, worauf er sich eingelassen hatte. Wer war diese Frau? Was wusste er wirklich von ihr? Sie war so bar jeder Loyalität, die man ja auch in Abwesenheit eines Gatten hätte erwarten können, so ganz ohne den geringsten Anstand, und er fragte sich, wie viele Männer schon in ebendiesem Schlafzimmer gestanden und die Jacketts ihres Mannes anprobiert hatten, unter diesem kühlen, kennerhaften Blick.
    An diesem Abend ging der Mann früher nach Hause als sonst, und als seine Frau fragte, wo er gewesen sei, hatte er nicht wie gewöhnlich eine Antwort parat. Es ist einfach nur spät geworden, sagte er, bevor er neben ihr ins Bett kroch und das Licht ausmachte, keine besonders gute Antwort, der Mann hörte, wie falsch sie klang, doch die Frau begnügte sich damit und schlief bald ein.
    Mit den Hemden ihres Mannes war sie eindeutig zu weit gegangen, dachte der Mann, bevor auch er einschlief. Eine solche klebrige Nähe ohne die geringste Rücksicht konnte nicht angehen, sie war unanständig auf eine Weise, wie es seine Affäre mit der Frau des Anwalts nicht war, da ja deren Voraussetzungen von vornherein feststanden.
    Schon die Jacketts waren schlimm genug gewesen. Außerdem hatte der Mann sich lächerlich gefühlt in einem Jackett aus bester Rohseide oder Mohair, aber barfuß und ohne Hosen, obwohl sie beide gerade auf diese nackte Rücksichtslosigkeit erpicht waren, die ihn erregte, während es ihr wohl schmeichelte, zwei Männer in ihrer Macht zu haben.
    Überdies war sie auch gefährlich, dachte der Mann, bevor er einschlief. Aber beide hatten in der Gefahr Schutz gesucht. Schon von Anfang an mussten sie die Vorstellung gehabt haben, dass eine stürmische Leidenschaft wie die ihre den Gesetzen der Natur folgen müsse, die ja mitten in jedem Orkan oder Wirbelwind einen stillen und vollkommen sicheren Ort schafft, wo nichts geschehen kann.
    Erst dort, in der größtmöglichen Nähe zum Gefährlichen und Verbotenen, war man ganz sicher. So hatten sie ihren eigenen Stadtteil, im sechsten Bezirk von Wien, zum Ort ihrer Leidenschaft erkoren. Zusammen zeigten sie sich in dem Viertel, beim Metzger unten in der Gumpendorfer oder in der Bäckerei unterhalb der Mariahilfer Straße, bei den Damen in der Reinigung oder beim Tabakhändler, wo der Mann jeden Morgen seine Zeitung holte, um spät am selben Nachmittag in der Gesellschaft einer Frau wiederzukommen, die nicht seine Ehefrau war, und zu sagen, er habe am Morgen die Neue Zürcher Zeitung vergessen.
    Einmal hatte der Mann sie sogar bei der Fußpflegerin in der Stumpergasse abgeholt, ich bin gerade fertig, sagte die Frau zu ihm, mit einem nackten Fuß im Schoß der Fußpflegerin, und der erstaunten Fußpflegerin hatte die Frau erklärt, der Mann sei ein alter Studienkamerad ihres Gatten, den sie zum Essen eingeladen hätten, aber nicht, warum eine solche Person sie hier in der Stumpergasse bei einer Frau im weißen Kittel mit einem Messer in der Hand abholte, anstatt gegen sieben Uhr am selben Abend an der Tür der Bergers in der Theobaldgasse mit einem Blumenstrauß in der Hand zu klingeln.
    Zusammen drangen der Mann und die Frau immer tiefer in einen Alltag ein, in dem viele wussten, dass sie verheiratet waren, aber nicht miteinander, aber sie taten es so offen und sorglos, dass der geringste Verdacht hinsichtlich dessen, was sie eigentlich trieben, an seiner eigenen Unsinnigkeit gescheitert wäre. Hier wurde nichts versteckt. Es gab ja nichts zu verstecken, mit Lust und Liebe widmeten sie sich all den harmlosen Dingen des täglichen Lebens. Das war ihr Plan. Sie
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