Novecento - Die Legende vom Ozeanpianisten
… und es war weg für immer. Danny Boodmann T. D. Lemon Novecento: Das letzte Mal, als ich ihn sah, saß er auf einer Bombe. Im Ernst. Er saß auf einer Riesenladung Dynamit. Eine lange Geschichte … Er sagte: »Du bist nicht wirklich aufgeschmissen, solange du noch eine gute Geschichte hast und jemanden, dem du sie erzählen kannst.« Er hatte sie … eine gute Geschichte. Er war seine gute Geschichte. Eine verrückte, wenn man es recht bedenkt, aber eine schöne … Und damals, als er auf diesem ganzen Dynamit saß, hat er sie mir geschenkt. Weil ich sein bester Freund war, ja. Aber dann habe ich einigen Mist gebaut, und selbst wenn man mich auf den Kopf stellt, kommt nichts mehr aus meinen Taschen, sogar die Trompete habe ich verkauft, alles, aber … diese Geschichte, nein … die habe ich nicht verloren, sie ist noch da, klar und unerklärlich wie nur die Musik war, wenn mitten auf dem Ozean das Zauberklavier von Danny Boodmann T. D. Lemon Novecento sie spielte.
(Der Schauspieler geht hinter die Kulissen. Wieder ist die Band zu hören, die zum Finale ansetzt. Als der letzte Akkord verklingt, kommt der Schauspieler auf die Bühne zurück.)
Gefunden hatte ihn ein Matrose, der Danny Boodmann hieß. Er fand ihn eines Morgens, als schon alle von Bord gegangen waren, in Boston, er fand ihn in einem Pappkarton. Er wird so an die zehn Tage alt gewesen sein, mehr nicht. Er weinte auch gar nicht, er lag still da, mit offenen Augen, in dieser großen Schachtel. Man hatte ihn im Ballsaal der ersten Klasse abgestellt. Auf dem Klavier. Allerdings sah er nicht aus wie ein Säugling erster Klasse. So was machten normalerweise die Auswanderer. Heimlich ein Kind zur Welt bringen, irgendwo an Deck, und es dann da aussetzen. Aber bestimmt nicht aus Bosheit. Das war Not, bitterste Not. Ungefähr so wie die Sache mit den Klamotten. Sie kamen an Bord und hatten kaum ein Hemd auf dem Arsch, jeder in seiner komplett durchlöcherten Kluft, der einzigen, die sie hatten. Aber da Amerika schließlich immer noch Amerika war, sah man sie am Ende alle gut gekleidet von Bord gehen, die Männer sogar mit Krawatte und die Kinder in weißen Blusen … mit einem Wort, sie wußten sich zu helfen. In diesen zwanzig Tagen Überfahrt nähten und schneiderten sie, zum Schluß war nicht ein Vorhang und nicht ein Laken mehr auf dem Schiff zu finden, nichts, gar nichts: Sie hatten sich Sonntagskleider für Amerika gemacht. Die ganze Familie. Da konnte man doch nichts gegen sagen …
Kurz und gut, von Zeit zu Zeit ließ sich ein Kind nicht vermeiden, das für einen Auswanderer ein hungriges Maul mehr und einen Haufen Scherereien bei der Einwanderungsbehörde bedeutet. Sie ließen sie auf dem Schiff zurück. Sozusagen im Tausch gegen die Vorhänge und Bettlaken. Mit diesem Kind hier mußte das so gewesen sein. Sie mußten sich das so gedacht haben: Wenn wir es auf dem Flügel im Ballsaal der ersten Klasse lassen, nimmt es vielleicht irgendein Reicher auf, und es wird sein Leben lang glücklich sein. Das war ein guter Plan. Zur Hälfte funktionierte er auch. Reich wurde es zwar nicht, aber Pianist. Der beste, wirklich wahr, der beste.
Aber egal. Der alte Boodmann entdeckte es da und suchte nach einem Hinweis darauf, wer es war, fand aber nur einen blauen Aufdruck auf der Pappschachtel: T. D. Zitronen. Es gab auch noch so was wie das Bild einer Zitrone. Auch blau. Danny war ein Schwarzer aus Philadelphia, ein Kerl wie ein Schrank, ein wahres Wunder. Er nahm das Kind auf den Arm und sagte »Hello Lemon!« Und irgendwas in ihm wurde ausgelöst, so was wie das Gefühl, Vater geworden zu sein. Zeitlebens vertrat er die Ansicht, daß dieses T. D. eindeutig Thanks Danny, Danke Danny, heißen sollte. Das war Blödsinn, aber er glaubte es wirklich. Sie hatten es für ihn ausgesetzt, dieses Kind. Davon war er überzeugt. T. D., Thanks Danny. Einmal brachten sie ihm eine Zeitung mit, in der die Reklame eines Marines mit einer Idiotenfresse und einem feschen Schnurrbart war, so vom Typ Latin Lover, und dazu das Bild einer Riesenzitrone, und daneben stand: Tano Damato – der König der Zitronen, Tano Damato – die Zitronen der Könige, und irgend so ein Zertifikat oder eine Auszeichnung, oder was weiß ich … Tano Damato … Der alte Boodmann zuckte mit keiner Wimper. »Was ist denn das für eine Tunte?« fragte er. Dann ließ er sich die Zeitung geben, weil neben der Reklame die Rennergebnisse standen. Nicht, daß er wettete, nein, ihm gefielen nur
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