Novecento - Die Legende vom Ozeanpianisten
einfach die Namen der Pferde, das war wirklich seine Welt, in einer Tour sagte er: »Hör mal das hier, das hier, das ist gestern in Cleveland gelaufen, hör mal, sie haben es Streithammel genannt, verstehst du?, ist das die Möglichkeit? und das hier? na sowas: Lieber früher , ist das nicht göttlich?« Also, ihm gefielen die Pferdenamen, das war seine Welt. Wer gewann, war ihm scheißegal. Ihm gefielen nur die Namen.
Diesem Kind gab er als erstes seinen eigenen Namen: Danny Boodmann. Die einzige Eitelkeit, die er sich in seinem ganzen Leben leistete. Dann setzte er T. D. Lemon dazu, genauso wie es auf der Pappschachtel stand, denn er meinte, es mache was her, wenn man mitten im Namen Buchstaben stehen hat: »Die Anwälte haben auch alle welche«, bestätigte Burty Bum, ein Maschinist, der dank eines Anwalts, der John P. T. K. Wonder hieß, im Knast gelandet war. »Wenn er Anwalt wird, bring ich ihn um«, verkündete der alte Boodmann, ließ aber die beiden Initialen in dem Namen dann doch stehen, und so kam Danny Boodmann T. D. Lemon heraus. Es war ein schöner Name. Sie prüften ihn eine Weile, indem sie ihn vor sich hin sagten, der alte Danny und die anderen, unten im Maschinenraum, bei abgeschalteten Motoren, im Hafen von Boston schaukelnd. »Ein schöner Name«, sagte der alte Boodmann schließlich, »aber irgendwas fehlt noch. Ihm fehlt ein großes Finale.« Das stimmte. Ihm fehlte ein großes Finale. »Setzen wir doch Dienstag dazu«, schlug Sam Stull, der Kellner, vor. »Du hast ihn Dienstag gefunden, also nenn ihn Dienstag.« Danny dachte eine Weile darüber nach. Dann lächelte er. »Das ist eine gute Idee, Sam. Ich habe ihn im ersten Jahr dieses verdammten neuen Jahrhunderts gefunden, stimmt’s? Ich werde ihn Novecento nennen – 1900.« – »Novecento?« – »Novecento.« – »Aber das ist ja eine Zahl!« – »Es war eine Zahl. Jetzt ist es ein Name.« Danny Boodmann T. D. Lemon Novecento. Das ist perfekt. Das ist wunderschön. Ein toller Name, weiß Gott, wirklich ein toller Name. Er wird es weit bringen, mit so einem Namen. Sie beugten sich über die Pappschachtel. Danny Boodmann T. D. Lemon Novecento sah sie an und lächelte. Sie standen wie vom Donner gerührt: Keiner hatte damit gerechnet, daß ein so kleines Kind soviel Scheiße machen kann.
Danny Boodmann war noch acht Jahre, zwei Monate und elf Tage lang Matrose. Dann, bei einem Sturm mitten auf dem Ozean, erwischte ihn ein herumwirbelnder Flaschenzug voll am Rücken. Er brauchte drei Tage, um zu sterben. Er war innen kaputt, es war gar nicht daran zu denken, ihn wieder zusammenzuflicken. Novecento war damals ein kleiner Junge. Er setzte sich an Dannys Bett und rührte sich nicht mehr von der Stelle. Er hatte einen Stapel alter Zeitungen und las dem alten Danny, der langsam vor die Hunde ging, drei Tage lang mit unsäglicher Mühe sämtliche Rennergebnisse vor, die er finden konnte. Er setzte die Buchstaben zusammen, wie Danny es ihm beigebracht hatte, den Finger auf das Zeitungspapier gepreßt und mit Augen, die keine Sekunde lockerließen. Er las langsam, aber er las. So starb der alte Danny beim sechsten Rennen von Chicago, das Trinkwasser mit zwei Längen Vorsprung vor Minestrone gewann und mit fünf Längen vor Blaues Make-up . Es war nämlich so, daß er bei diesen Namen das Lachen nicht verkneifen konnte, und vor Lachen platzte er. Sie wickelten ihn in eine Plane und gaben ihn dem Ozean zurück. Auf die Plane schrieb der Kapitän mit roter Farbe: Thanks Danny.
So war Novecento zum zweiten Mal Waise. Er war acht Jahre alt, und er war schon an die fünfzigmal zwischen Europa und Amerika hin und her gefahren. Der Ozean war sein Zuhause. Und was das Land anging, na ja, er hatte nie einen Fuß darauf gesetzt. Er hatte es von den Häfen aus gesehen, natürlich. Aber betreten, niemals. Es war nämlich so, daß Danny Angst hatte, man könnte ihn ihm wegen irgendeiner Dokumenten- oder Visageschichte oder so was wegnehmen. Deshalb blieb Novecento immer an Bord, und irgendwann ging die Reise darin wieder los. Streng genommen existierte Novecento für die Welt gar nicht. Es gab keine Stadt, keine Gemeinde, kein Krankenhaus, kein Gefängnis, keine Baseballmannschaft, die irgendwo seinen Namen vermerkt hätte. Er hatte kein Heimatland, er hatte kein Geburtsdatum, er hatte keine Familie. Er war acht Jahre alt. Aber offiziell war er nie geboren.
»Das kann auf Dauer nicht so weitergehen«, sagten sie gelegentlich zu Danny. »Von allem anderen
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