Nukleus
so vielen Menschen das Leben gerettet, dass wir es uns leisten können, auch mal eins zu nehmen.«
Julian schwieg immer noch, und jetzt knarrte und raschelte nichts mehr, als hielte sogar die Lederjacke den Atem an. Dann sagte Julian: »Ich muss jetzt in den OP«, mehr nicht.
»Gut, dann verabschieden Sie sich vorher noch von Dr. Bach, denn falls Sie Annika Jansen gleich da drin das Leben retten – so, dass Sie reden kann –, werden Sie Ihre Kleine nicht mehr wiedersehen, außer vielleicht in einer Dose Hundefutter.«
Eine Tür wurde geöffnet und kurz darauf wieder geschlossen, aber Julian war nicht gegangen, denn etwas später fragte er: »Wie können Sie so etwas tun? Was verlangen Sie da von mir?« Er hatte alle Überheblichkeit, alles Kühle verloren. »Sie können doch nicht ernsthaft denken …«
»Das Problem ist die Polizei da draußen, die Fleming, dieser Dummkopf, gerufen hat. Dr. Jansens Verschwinden hat dank des Wirbels, den Dr. Bach verursacht hat, eine Bedeutung bekommen, die man nicht mehr ignorieren kann. Na ja, die lassen sie jetzt keine Sekunde mehr aus den Augen. So nah wie Sie gleich wird ihr so bald niemand mehr kommen, und wir sind der Meinung, je schneller ein Problem aus der Welt geschafft wird, desto besser.«
Wir, fragte sich Ella; wer ist wir?
Julian sagte: »Aber wenn ich Dr. Jansen töte, und Ella bleibt am Leben … Sie weiß inzwischen genauso viel! Sie haben ihr sogar geholfen, alles herauszufinden.«
»Kommt einem etwas verwirrend vor, ich weiß, aber da war die Sachlage einfach eine andere. Als Dr. Bach auf meinem Radar aufgetaucht ist, war ich nur ein dienstmüder Detective Inspector, der früher mal, lang ist’s her, eine Karriere beim MI6 angestrebt hatte, die dann aus internen Gründen vorzeitig beendet wurde. Jetzt bin ich immer noch ein dienstmüder Detective Inspector, vor dem sich aber jählings eine neue Karrierechance bei eben diesem Geheimdienst aufgetan hat. Vorausgesetzt, ich bringe diese Kleinigkeit für die Kollegen ins Lot. Die wollen sich einfach nicht mehr die Finger schmutzig machen, aber sie wollen auch nicht, dass jemand mit dem Finger auf sie zeigt. Sie wollen schlicht und einfach ganz sichergehen.«
Ella spürte, wie sich ihre Nackenmuskeln spannten. Unter dem linken Auge begann ein winziger Muskel zu flattern. Es juckte sie am ganzen Körper, so wütend war sie plötzlich, über Cassidy und über sich selbst, darüber, dass sie dem Detective Inspector vertraut hatte. Darüber, dass sie nicht wachsam geblieben war.
Mit rauer Stimme fragte Julian: »Und Ella geschieht wirklich nichts? Die lassen sie am Leben?«
»Darauf haben Sie mein Wort als zukünftiger Leiter der Abteilung Westliche Verbündete. Was immer sie sagen könnte, sie hat keinerlei Beweise. Ihr Wort würde gegen meins stehen.«
Dann brach die Aufzeichnung ab. Ella begriff jetzt, was auf Julian lastete und warum seine Hände zittern mussten. Er wäre nicht der Mann gewesen, den sie liebte, wenn sie nicht gezittert hätten. Sie schämte sich. Sie fühlte Cassidys kalte Huskyaugen auf ihrem Gesicht.
»Ich weiß, was Sie jetzt denken«, sagte er. »Ich dachte, der Scheißkerl liebt Annika, trotz allem. Hat er das nicht die ganze Zeit behauptet? Tja, leider ist es aber so, dass sie mich nicht liebt.«
Er tupfte wieder etwas Feuchtigkeit von der Wunde am Kinn.
»Wie ich Dr. Auster bereits sagte – ich wollte Anni wirklich finden, und ich wollte ihr helfen. Aber dann hat sich mir diese unverhoffte Chance ergeben … Schauen Sie mich nicht so vorwurfsvoll an! Nichts hat nur eine Bedeutung. Man kann ehrlich und trotzdem ein Betrüger sein, gleichzeitig Held und Verräter. Man kann lieben und muss trotzdem gehen, und manchmal muss man den töten, den man liebt.«
»Was ist, wenn ich jetzt zu den Polizisten draußen auf dem Gang marschiere und denen erzähle, was hier gerade passiert?«
»Vergessen Sie nicht, dass ich immer noch Detective Inspector Patrick Cassidy bin. Ich habe hier noch immer alle Fäden in der Hand. Ich würde dafür sorgen, dass man Ihnen kein Wort glaubt. Und selbst wenn irgendwer Ihnen glauben sollte, werde ich immer einen Weg finden, meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, und glauben Sie mir, dann möchten Sie nicht in Ihrer Haut stecken.«
»Julian wird nicht tun, was Sie von ihm verlangen.«
»Warum nicht? Weil es böse ist?« Er stieß ein heiseres Lachen hervor. »Ach, Gott, was ist böse, was ist gut? War das der Teufel, den wir in den letzten Wochen am Werk
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