Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden
alle, wenn ich sage …«, lange Pause, trauriges Lächeln, Kopf leicht geneigt, »… wir schließen sie alle in unsere Gebete ein.«
Heftiges Nicken im Publikum. Da und dort vernehmliches Schniefen. Renee wandte geschickt den Blick, denn nun kam die Nahaufnahme mit Kamera 1.
»Doch muss wirklich jeder Unfall in Trauer und Verderben enden? Wir werden Ihnen zeigen, dass das nicht so sein muss. Sogar ein Unfall kann Menschen zusammenbringen.« Kamerawechsel. Kamera 1 zoomte aus dem Bild. »Wie diese beiden jungen Damen gleich beweisen werden.«
Ich spähte hinter die Kulissen. Wer da jetzt wohl kommen würde? »Ganz richtig«, fuhr Renee fort. »Fay hat nämlich einem ganz besonderen Menschen etwas zu sagen. Daisy!« Renees Lächeln wurde noch ein wenig breiter.
Daisy stürmte heran, grimassierte in die Kamera und schleppte einen riesigen Blumenstrauß mit sich. Lilien. Mein Herz schlug schneller. Ganz langsam überreichte Daisy Fay die Blumen, wobei sie versuchte, so lange wie möglich im Bild zu bleiben. Aber Fay ließ sich nicht so leicht aus dem Mittelpunkt der Aufmerksamkeit vertreiben. Sie hielt die Blumen vor sich hin, stand auf und ging auf mich zu. Ich sah mich um. Daisy hatte sich geschlagen gegeben und das Feld geräumt.
»Maggie, ich möchte dir nur sagen - du hast mir das Leben gerettet.« Ich starrte die silbrigen Tränenspuren an, die ihre Wangen überzogen. »Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.«
»Maggie.« Renee war nun an meiner Seite und zwang mich aufzustehen. Mühsam zog ich mich hoch. »Was sagst du dazu? Was sagst du zu Fay, meine Liebe?«
»Es tut mir leid«, stotterte ich. »Aber ich weiß nicht, was du da …«
»Du hast mir das Leben gerettet, Maggie. Ich wäre fast an meinem Blut erstickt.« Das Publikum erstarrte vor Schreck. Zwei übermäßig geschminkte Teenies in der ersten Reihe sahen aus, als müssten sie sich gleich übergeben. Das wäre allerdings ein Novum in der TV-Geschichte.
»Aber du hast so schnell reagiert. Du hast mir das Leben gerettet.«
Hatte ich das? Charlie hatte davon kein Wort erzählt. »Es tut mir leid, aber ich kann mich an nichts erinnern.«
Fay legte Renee die Blumen in den Arm und umarmte mich, so gut sie das mit einem Gipsarm eben konnte. Fast hätte sie mich, die ich nur auf meinem heilen Bein balancierte, umgeworfen. Renee warf mir hinter dem Bouquet einen mörderischen Blick zu. Offensichtlich hatte ich den großen Moment ruiniert. Da sie es nicht ausstehen konnte, wenn sich nicht alles um sie drehte, stellte sie sich vor uns, während ich versuchte, mich von der schluchzenden Fay zu befreien. Ich wünschte nur, sie würden die Lilien wegnehmen. Sie erinnerten mich an eine Zeit meines Lebens, die ich lieber vergessen wollte.
»Ist es nicht wundervoll, meine Damen und Herren? Wem würde das nicht zu Herzen gehen? Wir überlassen die beiden Damen also besser ihren gemeinsamen Erinnerungen …« (Woran? Ans Fast-Abkratzen?) »… und wenden uns Teil 3 zu. Eine Frau versetzte die Wissenschaft in Erstaunen, weil sie von den Toten auferstand. Doch nicht nur, dass sie lebt, ist ein Wunder - sie erhielt auch ein völlig neues Gesicht. Ja, Leonora Herbert ist eine der ersten Patientinnen, die sich einer Gesichtstransplantation unterzogen.« Alles sog hörbar den Atem ein. »Doch zuerst, gleich nach der Pause, werden wir einer Dame begegnen, die behauptet, es gebe immer Licht am Ende des Tunnels. Und niemand weiß das besser als sie, denn sie lernte ihren neuen Partner während einer Trauma-Therapie kennen. Also: Bleiben Sie dran!«
Sie warf mir die Blumen in den Schoß. Ich legte sie hinter meinen Stuhl. Wir hatten genau eineinhalb Minuten Zeit, um uns zu erholen und einmal richtig durchzuatmen. Ich hatte eineinhalb Minuten Zeit, um meine »Wasserflasche« zu leeren. Das tat ich mit Genuss. Dann sah ich mich nach Daisy um. Charlie sprintete zu Renee hinüber und sprach leise mit ihr. Ich beäugte sie misstrauisch und versuchte, aus ihren Lippenbewegungen abzuschätzen, worum es ging. Das Wort »flach« fiel mehrere Male.
Renee brachte mit einer schnellen Kopfbewegung ihr Haar in Form, Kay kam mit der unvermeidlichen Puderquaste. Daisy brachte Renee einen Drink, den diese ihr mit (zumindest für mich) gewohnt grober Art aus der Hand nahm. Ich versuchte, Daisys Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, aber diese war zu sehr damit beschäftigt, Charlie schöne Augen zu machen. Auch ich versuchte ihn zu mir zu winken, aber er war vollkommen mit Renee
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