Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden
Fernandez schon vergleichsweise früh das Wort. Sein fleischiges Gesicht glänzte selbstherrlich, als er weitschweifig über seine Theorie sprach. Renee ließ ihn erstmal von der Leine und seine Nummer vorführen. Noch verbarg sie die Zähne, die bald zum tödlichen Biss ansetzen würden. Eine Vampir-Fledermaus in einer fliederfarbenen Mohairweste. Ich versuchte mich zu konzentrieren und starrte auf Fernandez’ Doppelkinn, das beim Reden wabbelte. Ich fragte mich, ob Renees Weste so kratzig war, wie sie aussah. Mein Bein tat jetzt wirklich weh, meine kleine Zehe hatte im Gips zu jucken begonnen. Da knallte wie ein Peitschenschlag mein Name durchs Studio.
Mein Kopf ruckte hoch. Offensichtlich stellte Renee mich gerade vor. Nun gab es kein Entkommen mehr. »Maggie Warren, Opfer«, hallte es von den Wänden wider, und nun durften mir all die Teufel im Publikum ihre Sympathie bezeugen. Ich zwang mich zu einem Lächeln (obwohl Charlie eine Grimasse des Schmerzes sicher lieber gesehen hätte). Dann nahm Renee im Sessel neben mir Platz, natürlich nur am Rand, damit sie sich publikumswirksam zu mir herüberbeugen konnte. Ich versuchte, nicht zurückzuzucken. Unsere Knie berührten sich fast. Ich nahm ihr unangenehmes Parfüm wahr, so süßlich, dass mir fast schlecht wurde. Vielleicht lag das aber auch nur am Alkohol. Zu spät wurde mir klar, dass ich mich nicht zurücklehnen konnte, ohne meine Krücke laut auf den Studioboden knallen zu lassen. Ich war gefangen. Und Renee war mir so nahe, dass ich die Poren auf ihrer Nase zählen konnte. Sie blickte mir tief in die Augen. Ihre farbigen Kontaktlinsen wirkten unnatürlich hell unter der hässlichen Studiobeleuchtung. Ich kämpfte gegen das hysterische Gelächter an, das ich in meiner Brust aufsteigen fühlte.
»Mr Fernandez hat ein Buch über Stress geschrieben«, sagte Renee, während sie mir ihren Atem ins Gesicht blies. Ihr walisischer Akzent klang weich und fürsorglich. »Er denkt, Stress entsteht im Kopf, und wir sollten dagegen ankämpfen.« Fernandez nickte selbstgefällig, wobei sein Doppelkinn wackelte wie Götterspeise. »Sie aber, liebe Maggie, sind das beste Beispiel dafür, dass der Stress, der durch solch einen schrecklichen Unfall ausgelöst wird, das Leben tatsächlich völlig verändern kann, nicht wahr?«
War ich das?
»Bin ich das?«
Ich blinzelte. Der Muskel in meiner Wange reagierte auf das Adrenalin und fing an zu zucken. Und wieso siezte Renee mich plötzlich?
Renee runzelte die Stirn. Ihr sicher geglaubtes Opfer schien ihr entwischen zu wollen. Ich hörte Charlie im Off leise hüsteln. Stille. Das Publikum beugte sich im Sitz vor. Sie warteten. Ich wartete. Renee legte sanft ihre Hände auf meine. (In den letzten zwei Jahren hatte sie mir nicht einmal die Hand geschüttelt.) Schnell zog ich meine Hand zurück und unterdrückte den Unmutslaut, der sich auf meine Lippen stahl. Sie hatte mich gezwickt, dessen war ich mir ganz sicher. Nur ein ganz kleines bisschen, sodass niemand es merkte, aber es war eindeutig ein Zwicken gewesen. Ich spürte Charlies finsteren Blick und dachte an das, was er gestern gesagt hatte. Ich atmete tief durch. Nun war ich auf Autopilot.
»Verzeihung. Natürlich.« Wie fremd Renees Augen wirkten. Als wären sie aus einer anderen Welt. »Natürlich hat der Unfall mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Ich …« Ich legte eine Pause ein. Es sah nach Effekthascherei aus, aber ich suchte wirklich nach einem halbwegs intelligenten Ausdruck. Eigentlich suchte ich überhaupt nach passenden Worten. »Ich glaube nicht, dass mein Leben je wieder dasselbe sein wird.«
Renee kostete ihren Triumph aus. Ich hatte ihr die Trumpfkarte zugespielt und sackte in meinem Sessel zusammen. Gott, es war aber auch zu heiß hier. Sofort mischte Fernandez sich ein, unaufgefordert, um mir zu erzählen, wie ich mein Trauma überwinden konnte. Ich sei doch eine junge Frau, ich dürfe meiner Schwäche nicht nachgeben, sondern müsse lernen, die positiven Seiten zu sehen.
»Stress, liebe Maggie, entsteht durch unser Denken. Das kann ich Ihnen versichern.« Er richtete seine Blicke hoffnungsvoll ins Publikum. Ich sah ihn traurig an und klopfte auf mein kaputtes Bein. Und dann war Schluss mit der Schauspielerei. Einen Augenblick lang ließ ich meinen Schmerz aufblitzen.
»Das hier, Mr Fernandez, ist ein kaputtes Bein. Das habe ich doch nicht im Kopf, oder?« Die Qual legte sich über mich wie eine Dunstglocke. Ich musste sie loswerden. Im
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