Nur Blau - Roman
unterhielt, desto klarer wurde die Idee in seinem Kopf. Es gab einen Markt für diese Bilder, es gab Menschen, die bereit waren, Unsummen zu bezahlen, um so ein blaues Bild zu besitzen, also gab es sicher auch Menschen, die bereit waren, Kopien zu kaufen.
Es war nichts Kriminelles, er wollte lediglich Käufer für Kopien finden, er wollte Jo helfen, mit seiner Kunst Geld zu verdienen. Er war ein angesehener Literaturkritiker, die großen Zeitungen nahmen seine Rezensionen gerne an, er musste nicht um Veröffentlichungen betteln, seine Meinung war gefragt in der Literaturszene, sein Urteil konnte einen Autor emporheben oder kaputtmachen, er wurde in Literatursendungen eingeladen, gebeten, Kommentare zu verfassen und an Jurys teilzunehmen. Er hatte Geld. Sein Ruf war tadellos, sauber, nie wäre er auf die Idee gekommen, etwas Illegales zu tun. Sein Leben war perfekt. Er hätte es nie gefährdet.
Aber dann tat er es doch.
Er stieß in einem Internetforum auf eine Person mit dem Nickname Yves03.
Er unterhielt sich lange mit ihm. Er genoss es, wissend über Klein zu sprechen, von der Farbe zu schwärmen, sich inspirieren zu lassen, sich in unberührte Gewässer vorzuwagen, sich zu verstellen, zu lügen. Er beschrieb seine Leidenschaft für die Bilder, aber meinte eigentlich die Leidenschaft Jos. Er sprach mit seinen Worten und fand einen interessierten Zuhörer. Mosca gab vor, zwei Originale zu besitzen. Er tat es einfach, es machte ihm Spaß zu lügen. Er saß vor dem Bildschirm, trank Wein, hörte Jo im Atelier, wie er mit den Rollen über die Leinwand fuhr, und log.
Sie trafen sich fast jeden Abend in einem Chatroom und diskutierten über Klein. Mosca lernte viel, vertraute Yves03 von Tag zu Tag mehr.
Irgendwann erzählte er ihm die Wahrheit. Dass sein Freund einen Weg gefunden hatte, das Internationale Klein-Blau perfekt zu kopieren, dass er die exakte Rezeptur kannte.
Yves03 konnte es nicht glauben. Er hörte nicht auf zu fragen, er war neugierig, tippte Fragen über Fragen auf Moscas Schirm. Yves03 wollte alles wissen. Mosca erzählte es ihm. Er war fasziniert von dieser Unterhaltung. Und auch, wenn er wusste, dass dieses Gespräch nichts Verbotenes hatte, spürte er etwas, das ihn ganz leise erregte. Es war wie ein Geheimnis, das man nur im Zwielicht bespricht, der Kontakt zu Yves03 war spannend geworden, er fesselte ihn, er konnte nicht mehr aufhören.
Das war vor vier Jahren.
Jo wusste zuerst nichts von alldem.
Mosca hatte Angst vor seiner Reaktion. Wenn er erfahren würde, dass er mit anderen über seine Arbeit sprach. Er behielt es zunächst für sich, er schrieb seine Kritiken, und als Jo ins Atelier ging, traf er sich mit Yves03 im Chatroom.
Das Gefühl, Jo zu hintergehen, saß irgendwo in ihm, es plagte ihn, er würde es ihm sagen, ihm alles sagen, aber noch nicht jetzt.
Morgen. Oder übermorgen, sagte er sich.
Dann war er wieder da. Yves03, er blinkte auf seinem Bildschirm.
Kann ich eine Kopie sehen. Ich komme nach Frankfurt. Können wir uns treffen. Ich muss es sehen. Das stand da auf dem Schirm.
Mosca überlegte kurz, das ging ihm zu weit. Den Unbekannten treffen, ein Bild aus dem Atelier holen und ihn treffen. Er musste es Jo sagen, er konnte das nicht tun. Er würde ihm die Wahrheit sagen.
Wann kommen Sie, schrieb er.
Etwas trieb ihn. Es war wie in einem Buch, ein Abenteuer in das er versehentlich hineingerutscht war, etwas Gefährliches vielleicht. Es reizte ihn, er war der Held mitten in einer neuen Geschichte, er konnte die Handlung lenken, es hing von ihm ab.
Mosca zitterte beinahe. Seine Finger flogen über die Tastatur.
Schnell tippte er.
Wann, schrieb er.
Er hörte hin, ob Jo hinter ihm über den weißen Marmor ging, ob er aus dem Atelier kam, zu seinem Schreibtisch mit seinen blauen Händen, so wie er es immer tat, wenn er eine Pause machte, wie er ihn dann umarmte, wie er sich von hinten an ihn heranschlich und ihn in den Nacken küsste. Er hörte hin, ob da Jos Schritte waren. Er drehte sich immer wieder um. Er hörte hin, ob er sicher war vor seinem Bildschirm.
Morgen, schrieb Yves03, wo treffen wir uns. Mosca spürte, wie ihm warm wurde überall, er würde es tun, er würde diesen Mann treffen, ihm ein Bild zeigen und dann wieder zurückkommen und Jo alles erzählen.
Unterer Mainkai, schrieb er, ich sitze auf einer Bank, ich trage einen olivgrünen Anzug.
Ich kann um fünf Uhr da sein, las er.
Bis morgen, schrieb er.
Dann fuhr er den Computer herunter und ging
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