Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:
kauften sie sich etwas auf die Hand, wenn sie Hunger bekamen, und manchmal aßen sie bei Freundinnen. Aber sie bekamen Geld für Kleider, Mittagessen und Körperpflege. Es fehlte ihnen nichts. Ihrer Mutter gelang es, die Familie über die Runden zu bringen, auch wenn ihr Leben ein bisschen anders aussah als das der anderen.
In der Regel wurden schon am frühen Nachmittag die ersten Flaschen auf dem Wohnzimmertisch in der Dreizimmerwohnung im Wohnkomplex Ringen entkorkt. Danach herrschte bis weit in den Abend hinein ein ständiges Kommen und Gehen, und erst gegen Mitternacht wurde es ein bisschen ruhiger. Und nicht selten schlief einer der Saufkumpane ihrer Mutter ein und blieb über Nacht.
Die Mädchen gingen tagsüber in die Schule und zogen danach durch die Stadt oder waren bei Freundinnen. Sie teilten sich ein eigenes Zimmer, aber sie hielten es kaum zu Hause aus, solange dort gefeiert wurde, also versuchten sie sich so lange wie möglich von dort fernzuhalten. Die Gelage bei ihrer Mutter endeten nur selten in Handgreiflichkeiten, aber die Gespräche verliefen lautstark, und man musste aufpassen, dass man niemanden provozierte, der ohnehin schon nicht besonders gut gelaunt war. Elise und Jennifer blieben am liebsten weg und versuchten möglichst unsichtbar zu bleiben, wenn sie zu später Stunde in die Wohnung schlichen und sich schlafen legten.
Doch jetzt war Freitagabend, das Wochenende stand vor der Tür, also keine Schule oder andere Verpflichtungen. Außerdem hatte ihre Mutter gerade Geld bekommen. Am Küchentisch, auf dem sich Flaschen, Gläser und volle Aschenbecher drängten, herrschte Hochstimmung. Elise und Jennifer hatten sich von der ausgelassenen Atmosphäre anstecken lassen und die Gelegenheit ergriffen, Schnaps und Zigaretten zu schnorren. Normalerweise schlichen sie auf dem Weg zu ihrem Zimmer vorbei, ohne dass sich jemand um sie kümmerte, aber diesmal waren sie hereingerufen worden. Einige der großmäuligen Typen am Küchentisch machten ihnen das eine oder andere Angebot.
Elise fühlte sich schon nach dem ersten Schluck angenehm entspannt. Sie zog an der Zigarette und schloss die Augen. Diese hier wollte sie für sich alleine, denn sie wusste, dass sie nicht noch mehr bekommen konnte. Das Geld, das sie bekam, reichte selten für Zigaretten, und wenn man bei Freundinnen schnorrte, musste man sich mit ihren fast aufgerauchten Kippen begnügen. Sie nahm einen ordentlichen Schluck aus dem Glas und schaute zu ihrer großen Schwester hinüber. Alle sagten, sie sähen sich ähnlich, aber sie konnte nicht viele Übereinstimmungen entdecken. Jennifer war zwei Jahre älter, cool und selbstbewusst und nie um eine Antwort verlegen. Sie selbst war eine blasse Kopie ihrer Schwester mit wenig Selbstvertrauen, schlechter Haltung und kleinen, lächerlichen Brüsten, die kein Vergleich zu Jennifers waren. Sogar die Typen in ihrer Küche erkannten den Unterschied. An einem Abend wie diesem sollte Jennifer bei einem von ihnen auf dem Schoß sitzen, sie war der Hauptgewinn. Aber sie ließ die Männer auf ihre souveräne Art fast immer abblitzen. Da konnten sie noch so viele Krokodilstränen vergießen und bitten und betteln, sie schüttelte nur den Kopf und rollte entnervt mit den Augen. Erst dann wandten sie sich an Elise, aber auch sie sagte meistens nein, genau wie Jennifer. Manchmal allerdings setzte sie sich auf Dagges oder Gordons oder Peos Schoß, weil sie einfach nicht mehr nein sagen konnte oder einfach für einen Augenblick das Gefühl haben wollte, geliebt zu werden.
»Was hast du heute Abend vor?«
Um den Lärm in der Küche zu übertönen, musste Elise schreien.
»Weiß nicht. Mit Jocke losziehen, aber vielleicht scheiß ich auch drauf«, brüllte Jennifer zurück.
Jennifer hatte einen Freund. Na ja, Freunde hatte sie selbst auch hin und wieder schon gehabt, aber Jennifer hatte einen richtigen Freund. Einen Mann. Jocke war vierundzwanzig und hatte einen Bart. Die Jungen, mit denen sich Elise traf, hatten bestenfalls schon den Stimmbruch hinter sich. Von Bartwuchs konnte bei ihnen kaum die Rede sein, und sie waren kindisch und albern. Jennifer hatte einen richtigen Mann und war sich nicht sicher, ob sie Lust hatte, ihn zu treffen! Er war nett und aufmerksam, Elise konnte sich nicht erinnern, selbst je so einem Mann begegnet zu sein. Sie hatte die beiden einmal von Weitem beobachtet, Jocke hatte seinen Arm um Jennifer gelegt, als wäre sie sein Eigentum. So als wollte er allen zeigen: »Das ist
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