Nur Der Tod Kann Dich Retten
wieder verschwunden waren. »Für die weibliche Hauptrolle habe ich an Ihre Tochter gedacht. Sie ist ein so hübsches Mädchen. Meinen Sie, dass sie Interesse hätte?«
»Da müssen Sie sie wohl selber fragen«, erwiderte Sandy. »Und was ist mit Tim?« Ein Engagement bei der Theater-AG wäre vielleicht genau das, was Tim aus seinem Schneckenhaus locken könnte. Er mochte das Theater, und eine Rolle in einer Schulaufführung könnte sein Selbstvertrauen stärken. Warum war sie nicht schon vorher darauf gekommen?
»Tim?«
»Mein Sohn.«
»Ach ja. Tim. Ruhiger Vertreter. Sagt nicht viel. Nun, ich fürchte, als Petruchio ist er natürlich völlig ungeeignet, vor allem wenn Megan die Rolle der Kate übernimmt. Es wäre schließlich unangemessen, wenn Bruder und Schwester ein Liebespaar spielen. Aber es gibt jede Menge kleinerer Rollen. Er ist auf jeden Fall herzlich eingeladen, zum Vorsingen am Montag zu kommen.« Gordon machte eine flatternde Bewegung mit seinen überraschend kräftigen Händen und fasste sich an die Spitze seiner Knollennase.
Sandy musste an Gregs Karikatur des Mannes denken. Er hatte sein Wesen mit ein paar einfachen Strichen erfasst. »Ist das Blut?«, fragte sie plötzlich.
Der Theaterlehrer wurde mit einem Schlag aschfahl. »Blut? Wo?«
»An Ihrem Ärmel?«
Gordon starrte auf den Fleck an seinem Ärmel und roch dann an dem anstößigen Flecken wie an einem fremdartigen Tier. »Spaghettisauce«, verkündete er nach einer kurzen Pause und streckte den Arm aus, als wollte er ihr Gelegenheit bieten, seine Einschätzung zu bestätigen.
»Ich muss los.« Sandy wich zurück, stolperte bei dem Versuch, Gordon Lipsmans ausgestreckter Hand auszuweichen, über ihre eigenen Füße und prallte ungewollt gegen ihn. Gemeinsam taumelten sie in einem frei schwebenden, spastischen Tango auf die Wand zu. »Verzeihung«, sagte sie, als sie sich schließlich aus seinem linkischen Griff befreien konnte. Verstohlen strich sie mehrere Katzenhaare von ihrer rosafarbenen Baumwollbluse. Etwa zwanzig Meter entfernt stand Joey Balfour und hielt ihr mit ausgestrecktem Arm ein Handy entgegen.
Eine verrückte Sekunde lang glaubte Sandy, dass ein Anruf für sie auf seinem Apparat eingegangen war und er ihr nun höflich sein Handy anbot. Erst als er lachend den Flur hinunterrannte, begriff sie, was wirklich geschehen war.
Als sie nach Hause kam, stand das Foto von ihr in Gordon Lipsmans Armen schon im Internet.
8
» M egan, Tim. Euer Vater ist hier.«
Megan blickte langsam zu der geschlossenen Tür ihres Zimmers und wandte sich dann wieder dem beunruhigenden Bild auf ihrem Computerbildschirm zu.
Ein vertrauter Highschool-Flur, ein Mann in einem blauweiß gestreiften Seersucker-Jackett, eine Frau mit einer konservativen pinkfarbenen Baumwollbluse und einem dunkelblauen Faltenrock. Er hatte den Arm um ihre Hüfte gelegt, ihr Rücken war gewölbt, und sie hat den Kopf in den Nacken geworfen. Es sah aus, als würden sie tanzen, dachte Megan, obwohl ihre Mutter das energisch dementiert hatte. Megan grinste. Auch wenn es sehr seltsam war, ihre Mutter in den Armen eines anderen Mannes zu sehen – noch dazu in den wenig naheliegenden Armen des dämlichen Mr. Lipsman -, fand sie, dass ihre Mutter hübsch aussah. Allein die Andeutung eines Lächelns auf ihren Lippen freute sie. Es war Monate her, dass Megan im Gesicht ihrer Mutter etwas anderes als Kummer gesehen hatte, obwohl das immer noch besser war als überhaupt nichts. Oft war da nur dieser leere Blick. Wenn Megan dieses weltabgewandte Starren sah, wusste sie, dass ihre Mutter in die Vergangenheit blickte und versuchte zu verstehen, wie alles so furchtbar schieflaufen konnte.
Es war nicht deine Schuld, wollte Megan ihr dann versichern, aber das tat sie nicht, weil sie im Grunde ihres Herzens dachte, dass ihre Mutter vielleicht doch schuld gewesen war. Wenn sie sich nur ein bisschen sexyer gekleidet und einen
Versuch unternommen hätte, ihre widerspenstigen Locken zu bändigen. Wenn sie nicht immer allzu bereitwillig ihre Meinung geäußert, ihren Mann nicht so oft unterbrochen und ihm häufiger zugestimmt hätte. Vielleicht hätte er dann weniger Zeit in entlegenen Chatrooms verbracht. Vielleicht hätte er Kerri Franklin nicht kennen gelernt. Vielleicht wären sie dann noch eine Familie.
Megan ließ sich auf ihren Stuhl zurücksinken und blies ein paar imaginäre Seifenblasen in die Luft. Ihre Mutter hatte erwähnt, dass Mr. Lipsman sie für die anstehende
Weitere Kostenlose Bücher