Nur Der Tod Kann Dich Retten
In der Schule brodelte es vor Gerüchten: Sie war abgehauen, weil sie schwanger war und Peter sich geweigert hatte, sie zu heiraten; sie war bei einer verunglückten Abtreibung gestorben; sie war mit einem älteren Kerl durchgebrannt, den sie im Internet kennen gelernt hatte; sie war von einem Sexualverbrecher vergewaltigt und erwürgt worden, der ihre Leichenteile überall in den Everglades verteilt hatte wie Brocken von altem, hartem Brot.
Megan schloss die Augen und scrollte abwesend weiter, während sie das Bild von Liana Martins üppigem Körper als Alligatorenfutter zu verdrängen suchte. Als sie die Augen wieder öffnete, war die anstößige E-Mail durch eine neue Nachricht ersetzt worden.
SCHWUCHTELLISTE (neuester Stand)
Victor Drummond
Perry Falco
Jason O’Malley
Brian Hensen
Tommy Butterfield
Donny Slaven
Rick Leone
Tim Crosbie
»Oh Gott«, sagte Megan, als sie den Namen ihres Bruders als letzten auf der Liste sah. Ihr wurde schlagartig übel. Ob Tim es schon gesehen hatte? Natürlich! »Die ganze Schule liest das«, flüsterte sie. Es klopfte an ihrer Tür. »Megan«, sagte ihre Mutter. »Hast du mich nicht rufen hören? Ich habe gesagt, dein Vater wartet.«
Ihre Mutter machte keine Anstalten, ins Zimmer zu treten. »Ich bin sofort fertig.«
»Beeil dich«, kam nach kurzem Zögern die Antwort.
»Zwei Minuten.« Ihre Mutter und ihr Vater mussten doch ein paar Minuten alleine miteinander verbringen können, ohne sich zu streiten.
Wenn ihre Mutter die letzte Nachricht sah, würde sie einen Tobsuchtsanfall bekommen, dachte Megan, als sie den Computer abschaltete, ohne ihn ordnungsgemäß heruntergefahren zu haben, wogegen der Rechner mit einem leisen Stöhnen protestierte. Sie würde annehmen, dass Joey und Greg dafür verantwortlich waren, genauso wie sie für das alberne Bild von ihr und Mr. Lipsman und den gemeinen Song über Delilah verantwortlich waren. Aber stimmte das auch?
Nun, Joey offensichtlich. Aber bestimmt nicht Greg.
Megan stand auf, hob ihre Handtasche vom Boden auf, warf sie sich über die Schulter ihres grün-weiß gestreiften Baumwollkleids und trat durch die Zimmertür. Noch bevor sie ins Wohnzimmer kam, konnte sie ihre Eltern streiten hören.
»Er sieht prima aus«, sagte ihre Mutter.
»Er sieht aus wie ein Gammler«, erwiderte ihr Vater. »Ich hab dir doch gesagt, dass ich mit ihnen zum Abendessen in den Golf Club will. Und du weißt, dass das heißt: Hemd und Krawatte.«
»Woher soll ich das wissen? Ich war noch nie dort.«
Schweigen. Megan konnte den verkniffenen Gesichtsausdruck ihrer Mutter und die geballten Fäuste ihres Vaters förmlich vor sich sehen. Der Golf Club war ein heikles Thema zwischen ihnen. Ihr Vater hatte argumentiert, dass sich die Aufnahmegebühr für den teuren Club wegen all der geschäftlichen Kontakte, die er dort knüpfen könnte, lohnen würde, und ihre Mutter hatte wider besseres Wissen zugestimmt. Die Tinte auf dem Scheck für die Einlage war kaum getrocknet, als ihr Vater ausgezogen war.
Jetzt stand er in der Mitte des kleinen rechteckigen Wohnzimmers und schüttelte traurig den Kopf wie ein hilfloser Zeuge eines schrecklichen Verkehrsunfalls, der versuchte, das eben Gesehene zu begreifen.
»Hi, Daddy«, begrüßte Megan ihn, setzte widerwillig einen Fuß vor den anderen und hoffte, dass es keine weiteren Ausbrüche geben würde.
»Süße.« Ihr Vater nahm sie in beide Arme, während sie spürte, wie sie sich unwillkürlich versteifte, weil sie wusste, dass ihre Mutter sie beobachtete. Wenn sie die Umarmung ihres Vaters erwiderte, was sie liebend gern getan hätte, würde ihre Mutter das als Verrat deuten, und sie war schon genug verletzt worden. »Du siehst wie immer umwerfend aus.«
Megan lächelte dankbar. Genau wie du, dachte sie. Ihr Vater war einer jener von der Natur gesegneten Männer, die mit dem Alter noch attraktiver wurden. Er hatte volles, dunkelblondes Haar, klare blaue Augen und weiche, einladende Lippen. Frauen fühlten sich zu ihm hingezogen. Sogar ihre Freundinnen hielten ihn für »echt cool«. »Können wir gehen?«, fragte Megan. »Ich sterbe vor Hunger.« Das stimmte nicht, aber sie dachte, dass es ratsam war, so schnell wie möglich zu verschwinden.
»Nein, können wir nicht«, sagte ihr Vater. »Dein Bruder muss sich erst noch umziehen.«
Megan blickte zu ihrem Bruder Tim, der auf dem roten Samtsofa herumhing und seine in Turnschuhen steckenden Füße über die Armlehne baumeln ließ. Tim hatte den Mund ihrer
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