Nur Der Tod Kann Dich Retten
Ich habe mich vor ein paar Wochen dort angemeldet.«
»Was? Warum?«
»Weil Brians Tod jetzt drei Jahre zurückliegt. Ich fühle mich einsam. Ich bin dreiundvierzig, 1,50 Meter groß und wiege fast fünfundfünfzig Kilo. Ich lebe in Torrance, wo ich schon mit allen infrage kommenden Männern geschlafen habe sowie mit ein paar, die nicht infrage kamen, und ich dachte, es wäre nett, jemanden kennen zu lernen, der über etwas anderes als Traktoren und Grapefruits reden kann. Und du solltest mal sehen: Seit meiner Anmeldung habe ich E-Mails von Männern aus dem ganzen Land bekommen, und ein paar hören sich ziemlich toll an.«
»Warum suchen sie online Frauenbekanntschaften, wenn sie so toll sind? Vergiss die Frage«, fügte Sandy sofort hinzu, als sie sich daran erinnerte, wie attraktiv Ian an dem Morgen ausgesehen hatte, als er ihr erklärt hatte, dass er sie wegen Kerri Franklin verließ. »Okay. Und dieser Typ, mit dem du dich heute Abend triffst...«
»Er heißt Jack Whittacker, ist fünfundfünfzig, seine Frau ist im letzten Jahr an Leukämie gestorben, und er hat eine kleine Firma, die irgendwelche Geräte produziert. Jedenfalls wohnt er in Palm Beach, kommt auf dem Weg zu Freunden in Naples durch Torrance und hat vorgeschlagen, dass wir was trinken gehen und uns gegenseitig besser kennen lernen.«
»Und warum soll ich dabei sein, wenn ihr euch besser kennen lernt?«
»Na ja, wegen Liana Martin.« Rita lächelte ihr nettestes Lächeln, das mit den Grübchen. »Falls der Kerl sich als Psychokiller oder so was entpuppt.«
Sandy lachte. Als sie sich zu Beginn des Schuljahres im Lehrerzimmer begegnet waren, hatten sie sich instinktiv gut
verstanden, und Rita war schnell ihre beste Freundin in Torrance geworden, das einzig Gute, was ihr seit ihrem Wegzug aus Rochester passiert war.
»Ich dachte, dass wir vielleicht schon bei einem Glas zusammensitzen, wenn er kommt. Und wenn er mir gefällt, könnte ich dir irgendein Zeichen geben, zwinkern oder den Kopf in den Nacken werfen -« Rita machte es vor und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Hals. »Nein, das geht nicht. Verdammt, ich glaub, ich hab einen Krampf. Egal«, fuhr sie fort, ohne Sandys Lachen zu beachten, »wie wär’s damit: Wenn ich mir die Nasenspitze kratze, kratzt du die Kurve.«
»Ich kann nicht.«
»Doch, du kannst.«
»Vielleicht ein andermal.«
»Wie wär’s nächste Woche? Da treffe ich einen Typen in Fort Lauderdale.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Ich hab dir doch gesagt, die Online-Agentur ist toll. Was meinst du? Wenn er einen Freund hat...«
»Vielleicht.«
»Super.«
»Vielleicht habe ich gesagt.« Sandy schüttelte halb staunend, halb bewundernd den Kopf. »Habe ich mich nicht deutlich ausgedrückt?«
»Wir leben in einer anderen Zeit, einer ganz anderen Zeit, Goldie«, sagte Rita.
»Was?«
»Das ist eine Zeile aus Anatevka .«
»Du zitierst Anatevka ?«
»Die Theater-AG hat es im letzten Jahr aufgeführt. Es war phänomenal. Du würdest nicht glauben, wie gut ein paar von den Kids singen können. Graf Dracula zum Beispiel. Er hat den Schneider gespielt und war fantastisch.«
Sandy versuchte, sich Victor Drummond als armen russischen
Schneider vorzustellen, was ihr erstaunlicherweise gar nicht so schwerfiel. »Kann ich mal dein Telefon benutzen?«
Rita schob das altmodische schwarze Telefon über den langen Tresen und hätte dabei um ein Haar mehrere Gläser mit Watte und Zungenspateln umgestoßen. »Ich kann nicht glauben, dass du kein Handy hast.«
»Ich hasse die verdammten Dinger.«
»Du brauchst eins. Was machst du zum Beispiel in einem Notfall?«
»Irgendwie erreicht man mich immer.«
»Und was, wenn du dringend Hilfe brauchst?«
Sandy ignorierte die Frage. »Hast du die Privatnummer der Drummonds?«
Rita ging zu dem kleinen Schreibtisch in der Ecke. Wenn man aus dem Fenster blickte, sah man direkt auf den Seiteneingang. Sie zog die Telefonliste aller Schüler und Lehrer aus der obersten Schublade und suchte schnell die Nummer der Drummonds. »Was willst du von ihnen?«
»Zunächst einmal werde ich sie fragen, ob sie wissen, dass ihr Sohn seit Dienstag nicht in der Schule war«, sagte Sandy beim Wählen, »und dass er eine ziemlich üble Schnittwunde am Arm hat. Und ihnen mitteilen, dass meiner Meinung nach jemand sich des Jungen annehmen sollte.«
»Ein Psychologe?«
»Das wäre meine Empfehlung.«
»Die wird bestimmt auf ungeteilte Begeisterung stoßen«, sagte Rita.
Das Telefon klingelte
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