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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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wiederholen, von denen nichts bekannt werden durfte, hatte Regina erst beim Frühstück von der anstehenden Reise des Vaters erfahren. Kein Ziel war genannt worden, der Name des Schiffs nicht erwähnt. Trotzdem hatte Regina spontan gewittert, dass etwas von enormer Wichtigkeit bevorstand, und zur allgemeinen Bestürzung hatte sie gefragt, ob es in Nairobi auch Kinder gebe. »Oder nur Löwen und Mohren?«
    Während der Fahrt im Taxi und auch noch auf dem Bahnhof hatte sie bis zu dem Moment, da ihr Vater sie hatte wegschicken wollen, kein Wort gesagt. Erst der Trotz hatte ihre Zunge gelöst. »Warum?«, bohrte sie zum zweiten Mal, »warum willst du, dass wir jetzt gehen?«
    Weil wieder einmal alle so taten, als hätten sie ihre Frage nicht gehört, wurde sie wütend und stampfte mit dem linken Fuß auf. Die neuen weißen Gamaschenhosen, die sie am Morgen nicht hatte anziehen wollen, weil nur kleine Kinder Gamaschenhosen trugen, wurden nass. Braune Spritzer von den Füßen bis zu den Knien. Kleine graue Schneehaufen fielen von den neuen Schnürstiefeln ab.
    Sie zerschmolzen auf dem Boden von Gleis sieben zu winzigen Pfützen.
    »Meine Handschuhe sind aber ganz trocken«, sagte sie triumphierend und hielt ihrem Vater beide Hände hin. Walter wollte seine Tochter an sich ziehen, ihr beweisen, dass er ihr nicht zürnte und dass ihm Spritzer auf weißen Gamaschen absolut gleichgültig waren, doch mit einem Mal konnte er sich nicht mehr bewegen. Sein Körper war steif und kalt, und immerzu schoben sich wabernde schwarze Hügel vor seine Augen - Lavaberge der Verzweiflung. Er schämte sich seines Kleinmuts, doch ihm fiel nichts ein, was er hätte sagen können. Trotzdem gelang es ihm, nach ein paar Sekunden die Schultern zu straffen und den Kopf zu befreien. Er grub seine Hände in die Manteltaschen, schob seinen rechten Fuß in eine der Pfützen und sagte: »Huch!« - so keck, als wäre ihm nur ein kleines Bubenmissgeschick passiert. Er hatte fest damit gerechnet, dass seine kleine schauspielerische Einlage Regina ablenken würde. In dieser Beziehung reagierte sie wie alle Fünfjährigen: Es machte ihr Spaß, wenn andere zu Schaden kamen. Doch sie sah ihn sehr ernst und ziemlich verblüfft an. Wieder wurde sich der Vater bewusst, wie sehr sich seine Tochter von der Natürlichkeit der Kinder fortentwickelt hatte; er hätte sich absolut nicht gewundert, wenn sie ihn ermahnt hätte, nicht so albern zu sein und besser auf seine neuen Schuhe zu achten.
    Der Gedanke an die neuen Schuhe, in der letzten Woche in Leobschütz gekauft, tat ihm nicht gut. Walter dachte an den Mann, der sie ihm verkauft hatte. Er hatte ihn nie zuvor gesehen; sie hatten kaum miteinander gesprochen, doch der Verkäufer war absolut im Bild gewesen. Beim
    Zahlen hatte er fünf Mark nachgelassen. Ohne ein Wort der Erklärung.
    Obwohl sich Walter wehrte, fiel ihm beim Thema neue Schuhe seine früh verstorbene Mutter ein; er fragte sich und nicht zum ersten Mal, was die wohl zu einem Sohn gesagt hätte, der dabei war, nach Afrika abzufahren und seine Frau und sein Kind zurückzulassen. Sein Vater und Liesel, seine Schwester, hatten ihn einen eigensinnigen, verantwortungslosen Idioten genannt, was Jettel so gut getan hatte, dass sie immer noch davon sprach, doch Walter war bei seinem Entschluss geblieben. »Erst eine Arbeit finden und dann die Familie nachkommen lassen«, erzählte er jedem, der ihn zur Rede stellte.
    Die Mutter hatte ihn grundsätzlich nicht mit neuen Schuhen auf Reisen gelassen. »Das tun nur Spießer«, hörte Walter sie sagen. Ihre Stimme war immer noch klar. In zwei Wochen jährte sich ihr Todestag zum zwölften Mal. Zum ersten Mal würde der Sohn keine Kerze zur Jahrzeit anzünden. Nicht auf dem Schiff und mit zwei Fremden in der Kabine. Wenn er erst eine feste Adresse hatte, würde er seinen Vater bitten, ihm Jahrzeitkerzen nach Afrika zu schicken. Beim Packen hatte er nicht an sie gedacht. Einen fatalen Moment ließ Walters Aufmerksamkeit nach. Er hatte sich vorgenommen, sich bis zur Abfahrt noch mehr zusammenzureißen als in den letzten Tagen und die Gedanken nicht schweifen zu lassen, doch die Bilder seiner Jugend hämmerten gnadenlos auf ihn ein.
    »Dabei bin ich damals nie weiter als bis nach Hirschberg gefahren«, erinnerte er sich. Wie war er bloß auf Hirschberg gekommen? Er hatte in den letzten Monaten wahrhaftig keinen Moment an Hirschberg gedacht. Dort hatte er Abitur gemacht und war nur zu einem Klassentreffen im Jahr 1927

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