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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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verwunderte. Hinzu kam, dass die Ausbildung zum Schreiner ihm bald wesentlich mehr Freude als das Jurastudium machte. Er war geschickt und ausdauernd, und dass sich der Erfolg von manueller Arbeit - im Gegensatz zum juristischen Studium - umgehend einstellte, empfand er als eine Erfahrung, über die er immer wieder mit anschaulichen Beispielen zu referieren wusste. Den Epilog der Geschichte schrieb dann die Zeit. Menschen mit einem handwerklichen oder technischen Beruf, die aus Deutschland vor den Nazis fliehen mussten und zur Emigration das rettende Visum brauchten, waren in der ganzen Welt willkommen, Ärzte kaum irgendwo und die Juristen nir-

    »Wo ist«, fragte Regina, »meine liebe, liebe Tante Suse?« Weil sie die Antwort Silbe für Silbe kannte, machte sie aus der Frage ein kleines Lied. Beim letzten Ton drückte sie jedoch hastig zwei Finger auf ihre Lippen und hisste: »Jetzt nicht!«, wie es die Erwachsenen taten, wenn sie vergaß, dass manche Worte nicht die Wohnung der Großmutter verlassen durften und ein Name schon gar nicht. Regina kreuzte ihre Arme hinter dem Rücken - wie es der Vater soeben getan hatte. Sie schaute sich um und flüsterte zweimal: »Nein.« Gespannt schaute sie Walter an, doch ihr ging auf, dass er weder die Stellung ihrer Arme bemerkt hatte noch, wie gut sie flüstern konnte. »Das sag ich dir zu Hause«, versprach die Großmutter. »Brauchst du nicht, ich weiß es ja«, erinnerte sich Regina. »Dann sag ich dir zu Hause, was du bist, mein Fräulein, ein ganz ungezogenes Gör.«
    »Jetzt hast du es ja schon hier gesagt«, kicherte das Kind.
    Ina hatte der ersten ihrer drei Töchter vor zwei Wochen und drei Tagen Lebewohl sagen müssen. Suse, die Jüngste, war abgefahren. Von genau der gleichen Stelle: Bahnsteig sieben mit der Uhr, deren Zeiger drohten wie Engel mit dem Flammenschwert, und dem roten Ballon auf der weißen Karre des Brötchenverkäufers. Nur so eisig kalt war es vor zwei Wochen nicht gewesen. Und weniger dunkel und trotz der Erregung, die drei Menschen sprachlos gemacht hatte, die genau wussten, dass keine Trennung mehr eine auf Zeit war, doch irgendwie hoffnungsvoller. Es war eben ein Unterschied, ob eine zwei-undzwanzigjährige Frau mit ihrem Mann nach Amerika fuhr oder ob ein Ehemann nach Afrika aufbrach und Frau und Kind zurückließ.
    Suse, Mutters Hätschelkind, acht Jahre nach Jettel geboren, war seit sechs Monaten verheiratet. Die Trennung von ihr war für Ina sehr unerwartet gekommen, doch das Telegramm mit der Nachricht von der glücklichen Ankunft des jungen Paares in New York hatte sie für jede einzelne Träne entschädigt. Mit ihrem Mann Macie, den sie erst seit einem Vierteljahr kannte, hatte Suse einen Hauptgewinn in der Lotterie des Überlebens gezogen. Macie, bis zur Ausschaltung der Juden aus dem Berufsleben wie Heini Wolf eine führende Kraft bei der HAPAG, hatte just am Tag der Hochzeit die Einreisepapiere für die Vereinigten Staaten erhalten. In den meisten Ländern, die zur Auswanderung in Frage kamen, waren die Einwanderungsbehörden nur an verheirateten Paaren interessiert. Ledige lehnten sie häufig ohne Begründung ab. Selbst die jungen.
    Käthe, Walters bilderbuchschöne, geschiedene Schwägerin, die sich ihre romantischen Träume von einer zweiten Maienhochzeit im Fliederregen weder von den Hakenkreuzfahnen in den Straßen von Breslau noch von den Schreckensberichten ihrer Bekannten und Freunde nehmen ließ und schon gar nicht von den Drohreden und Aufmärschen der Nazis, hob Regina hoch und drückte sie an ihre Wange. Die zärtliche, immer gut gelaunte, liebevolle Tante, in Reginas Phantasie eine Märchenprinzessin mit Zauberstab, gab ihr einen Kuss.
    »Heute pflücken wir beide goldene Kirschen und fädeln uns eine Kette«, lachte Käthe.
    Ihr Ton und ihre Augen waren so fröhlich, als wäre der 8.Januar 1938 für die Familien Perls und Redlich ein Tag wie andere auch und der Vater dieses jubelnden Kindes nur unterwegs zu einer kurzen geschäftlichen Besprechung nach Liegnitz. Jettel schaute ihre ältere Schwester an. Ihre Augen flammten Zorn; sie hätte sie gern gerüttelt wie die Goldmarie den Apfelbaum im Märchen und ihr gesagt, was sie sich schon als Zwölfjährige auf mütterlichen Befehl hin hatte verkneifen müssen, doch sie schwieg und fixierte die Bahnhofsuhr. Mit einer zaghaf-ten Bewegung, die beide verwirrte, berührte sie Walters Schulter. »Ich kann noch gar nicht glauben, dass du abfährst«, schluckte sie.
    »Ich auch

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