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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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hatte Ina ihren Schwiegersohn beschwichtigt. »Lass ihr Zeit. Jettel war immer eine, die Zeit brauchte, um zu kapieren, was die Uhr geschlagen hat. Aber sie hat ein gutes Herz, und sie liebt dich. Vergiss das nie.«
    »Sag das Hitler!«, hatte Walter räsoniert. »Sag ihm, er soll uns Zeit lassen, uns daran zu gewöhnen, dass wir verachtete Ausgestoßene sind, die sich für jeden Tritt in den Hintern auch noch bedanken müssen.«
    Mit einem zweiten Schlehenschnaps hatte er eine Schlaftablette genommen. Ina hatte darauf bestanden. Geweint hatte sie erst, als sie allein war.
    Nun hatte Jettel rote Augen. Mit der neuen roten Kappe, die ihr zu Walters Verärgerung besonders gut stand, wartete sie am Breslauer Hauptbahnhof auf die Einfahrt eines Zuges, den sie verfluchte. Obwohl sie mit erhobener Rechter geschworen hatte, das nie vor Regina zu sagen, sprach Jettel von einem Abschied fürs Leben. Sowohl ihre Tränen als auch die schmeichelnde Biberumrandung ihres Gesichts machten sie schön.
    Trotz seiner Not ließ sich Walter einen Herzschlag lang weich stimmen. Jettel gehörte zu den wenigen Frauen, deren Schönheit nicht litt, wenn sie weinte. Solche Frauen blieben immer eine Spur geheimnisvoll. Und begehrenswert. »In ihren Augen glitzern Diamanten«, hatte Martin Batschinsky gesagt, als die sechzehnjährige Jettel ihm beim Abschlussball der Studententanzstunde die Vernunft raubte.
    Nur im allerletzten Moment konnte sich Walter davor zurückhalten, Martins Namen auszusprechen. Er biss sich auf die Lippen. Wie Regina, wenn sie fürchtete, Dinge auszuplappern, die sie nicht wissen durfte. Ausgerechnet von seinem besten, dem ältesten Freund hatte Walter sich nicht mehr verabschieden können. Martin Bat-schinsky war unauffindbar gewesen, Adresse: unbekannt verzogen. Hoffentlich nicht nach Buchenwald. Greschek, der Getreue, hatte das ausgesprochen. Er verehrte Martin. Allerdings hatte Heini Wolf vor zwei Wochen erzählt, Martin wäre unterwegs nach Johannesburg.
    Trotz der Tanzstunde, die sie beide - Jettels wegen -kurzfristig zu Rivalen gemacht hatte, war Walter nie eifersüchtig auf seinen Freund und Weggenossen ge-wesen. Martin, der fröhliche Sieger, der weder Pessimismus noch Zagen buchstabieren konnte, wurde ab dem ersten Semester in Breslau ein strahlender Fixstern an Walters Firmament. Zunächst verband die beiden die Liebe zur gemeinsamen Heimat Oberschlesien, bald auch der derbe Humor und die trotzige Aufrichtigkeit, die charakteristisch für die Region waren. Hinzu kam der Umstand, dass sie beide ein Zimmer bei der Wirtin Walburga Piokowsky mieteten, die ihre »jungen Herren« jeden Sonntagmorgen mit zwei Stück frisch gebackenem Mohnstriezel weckte und ihnen jeden Mittwochmittag Hefeklöße mit warmem, selbst getrocknetem Backobst kochte. Das Duell um Jettel entschied Martin auf eine für ihn ungewohnt großzügige Art. Gerade noch rechtzeitig begriff er, dass es Walter war und nicht er, der die kapriziöse, verwöhnte Jettel wirklich liebte. Er wurde Trauzeuge und später häufiger, stets bejubelter Gast, als die beiden nach Leobschütz zogen, wo das Hausmädchen Anna und das Baby Regina gemeinsam um seine Gunst buhlten.
    Ausgerechnet in den letzten Minuten, die ihm blieben, um die Bereitschaft zum Aufbruch und Neubeginn in sein Herz zu pflanzen und seiner Familie Mut zu machen, dachte Walter mit einem Anflug von Neid an Martin. Das war ihm in all den Jahren, die sie gemeinsam verbracht hatten, keinen Tag widerfahren. »Nein«, flüsterte er entsetzt; er faltete seine Hände hinter dem Rücken und meinte, es hätte ihn keiner gehört.
    Durch das Entgegenkommen eines gutmütigen Schreiners war es Martin gelungen, gleichzeitig Jura zu studieren und eine Tischlerlehre zu machen. Die Idee stammte von Martins Vater, einem wohlhabenden Viehhändler aus
    Neiße. Bei der Erziehung seiner vier Söhne hatte der nämlich die gleichen Ideale wie einst Kaiser Wilhelm II. bei den seinen. »Ein Handwerk ernährt immer seinen Mann und schützt vor Flausen im Hirn«, war die Devise des alten Batschinsky.
    Walter und Martin, berauscht von Vorstellungen, die ausschließlich steile akademische Karrieren in Rekordzeit und vor allem den Doktortitel samt gesellschaftlicher Anerkennung anpeilten, hatten noch im dritten Semester ihre jungen ehrgeizigen Köpfe geschüttelt und wie Batschinskys Pferde gewiehert. Obwohl Martin eigensinnig wie ein Maulesel war, hatte er den väterlichen Wunsch respektiert, was ihn selbst am meisten

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