Nur einen Kuss, Kate!
dich in mein bescheidenes Haus führt?”, fragte er, um das Thema zu wechseln.
“Ich wollte herausfinden, was mit dir los ist. Und was du dir dabei gedacht hast, deiner eigenen Schwester die Türe zu weisen.”
“Großmama, du siehst ja selbst, dass ich hier keine Gäste empfangen kann. Außerdem war ich zu der Zeit völlig am Ende. Es tut mir leid, aber ich hatte genug von Frauen, die wegen meiner … Entstellung weinten und wehklagten”, schloss er steif.
“Entstellung, dummes Zeug!” Sie schnaubte undamenhaft, während ihr Blick zu der Narbe auf seiner rechten Wange wanderte. “Wenn du diesen kleinen Kratzer im Gesicht meinst, nun, du hast ohnehin viel zu gut ausgesehen. Jetzt wirkst du viel männlicher, nicht mehr wie ein hübscher Junge.”
Er vollführte eine ironische Verbeugung. “Danke, Madam.”
“Ach, schweig still. Ich möchte jetzt aufstehen. Geh und schick einen Diener mit heißem Wasser herauf.”
“Leider ist das unmöglich. Ich beschäftige kein Hauspersonal.”
Lady Cahill setzte sich zutiefst schockiert auf. “Was? Kein Hauspersonal?”, stieß sie hervor. “Unmöglich! Du musst Bedienstete haben!”
“Haushaltung interessiert mich nicht. Ich habe jahrelang in so primitiven Unterkünften gehaust, dass es mir jetzt ausreicht, ein Dach über dem Kopf und ein Bett zum Schlafen zu haben. Selbst wenn ich die Mittel hätte, was nicht der Fall ist, würde ich mein Geld nicht für Dienstboten hinauswerfen.”
Lady Cahill war entsetzt. “Kein Hauspersonal?”
“Nur Carlos, meinen Burschen, der sich auch um die Pferde kümmert.” Er hob die Hand, um einer Bemerkung von ihr zuvorzukommen. “Dir stehen nur deine eigenen Leute zur Verfügung. Ich brachte sie im Dorfwirtshaus unter – bis auf deine Zofe und das Mädchen. Sie werden sich um deine Bedürfnisse kümmern.”
Lady Cahill schnaubte. “Smithers wird sich nie so weit herablassen, Wasser heiß zu machen.”
Er zuckte mit den Achseln. “Dann muss sich eben das Mädchen darum kümmern. Sie scheint mir sehr tüchtig.”
“Welches Mädchen? Wovon redest du, mein Junge?”
“Die dünne Kleine mit dem grässlichen schwarzen Kleid. Großmama, ich muss mich sehr wundern, dass dir ihre Aufmachung entgangen ist. Sonst bist du doch sehr darauf bedacht, dass deine Dienstboten einen guten Eindruck machen. Und wie kommt es …”, er senkte die Stimme vor Entrüstung, “dass sie halb verhungert war? Gestern fiel sie vor der Haustür in Ohnmacht.”
“Sie wurde ohnmächtig?” Lady Cahill ließ ihn nicht aus den Augen.
“Sie fiel um, vor Hunger, oder ich müsste mich sehr irren. Sie ist ja nur Haut und Knochen mit Riesenaugen. Hellhäutig, lockiges braunes Haar, sieht aus, als würde ein Windstoß durch sie hindurchfegen, eine spitze Zunge und Angst vor Spinnen.”
Jack hielt inne, da er schon zu viel gesagt hatte. Aus Erfahrung wusste er, dass seine Großmutter zwei und zwei zusammenzählen und sich ihren Reim darauf machen konnte.
“Angst vor Spinnen? Das wundert mich aber. Ich hätte gedacht, sie fürchtet weder Tod noch Teufel. Hm, ich habe sie für sehr beherzt gehalten. Aber sie ist nicht mein Hausmädchen”, schloss Lady Cahill. “Hat sie das behauptet?”
Jack furchte die Stirn. “Nein”, sagte er nachdenklich. “Ich muss wohl einen voreiligen Schluss gezogen haben.” Seine Augen wurden schmal, als er sich Kates Auftritt vor ein paar Minuten vergegenwärtigte. “Aber wenn sie nicht dein Hausmädchen ist, was ist sie dann?”
“Sie heißt Kate Farleigh.”
“Das sagte sie. Aber wer ist sie?”
“Sie ist die einzige Tochter meines Patenkindes, der verstorbenen Maria Farleigh, geborene Delacombe.” In wenigen Sätzen berichtete Lady Cahill Jack, was sie von Kates Geschichte wusste.
“Dann ist sie ja eine Dame”, sagte er mit gerunzelter Stirn.
“Natürlich.”
“Nun, sie benimmt sich aber nicht so.”
“Ich fand sie sehr wohlerzogen”, antwortete seine Großmutter. “Gewiss, sie ist jähzornig. Funkelte mich mit ihren großen blauen Augen an …”
“Nicht blau, eher graugrün.”
Die alte Frau verkniff sich ein Lächeln. Ihm war also die Augenfarbe aufgefallen … “Wie du meinst. Also, sie funkelte mich an, verlor aber nicht die Fassung. Sie blieb ganz kühl, als ich sie kurzerhand mitnahm.”
Er zog seine Brauen hoch. “Was soll das heißen?”
“Ach, sieh mich nicht so an. Es war die einzige Möglichkeit. Du sagtest selbst, dass sie am Verhungern war. Sie führte ein kümmerliches
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