Nur einen Kuss, Kate!
einen mittellosen Geistlichen heiratete. Die Farleighs galten zwar als vornehme alte Familie”, setzte sie grollend hinzu, “doch war er der letzte Spross und arm wie eine Kirchenmaus.”
Nach einem tiefen Seufzer straffte sie ihre schmalen alten Schultern, schob den Teller von sich und verlangte Sherry.
“Und den Jungen werde ich auf Trab bringen. Man kann nicht zulassen, dass er in der Einöde von Leicestershire zum Sonderling wird”, schloss sie mit entrüstetem Kopfschütteln.
Der Türklopfer wurde so energisch betätigt, dass es in dem leeren kleinen Cottage hallte. Das war also der Moment, den sie erwartet und zugleich gefürchtet hatte. Sie war nun nicht mehr Kate Farleigh, die Tochter Vikar Farleighs, sondern nur Farleigh, Hausmädchen und Unperson.
Kate wusste, dass es kein Zurück mehr gab. Ihr Herz pochte so heftig, als gälte es, im nächsten Moment von einer Klippe zu springen. Ein lächerlicher Vergleich, ermahnte sie sich streng. Sie musste nicht springen, da sie schon vor langer Zeit hinuntergestoßen worden war und keine andere Wahl hatte.
Kate richtete sich kerzengerade auf, atmete tief durch und öffnete die Tür. Vor ihr stand eine gebieterisch wirkende kleine alte Dame, in üppige Pelze gehüllt, und starrte sie aus auffallend blauen Augen an. Im Hintergrund wartete eine elegante Reisekutsche.
“Womit kann ich dienen?”, sagte Kate, höflich ihr Erstaunen verbergend. Aus Mrs. Midgelys Antwortschreiben war nicht hervorgegangen, dass ihre neue Arbeitgeberin so reich und vornehm sein würde, auch nicht, dass sie Kate persönlich abholen würde.
Die alte Dame gab keine Antwort. Alle Gebote der Höflichkeit außer Acht lassend, begutachtete sie Kate eingehend.
Das Mädchen ist viel zu dünn, um auch nur annähernd als schön zu gelten, entschied Lady Cahill. Dennoch hatte es etwas an sich, das an ihre schöne Mutter gemahnte. Die feinen Züge vielleicht und den fast durchscheinenden Teint. Mit Sicherheit hatte sie die Augen ihrer Mutter mitbekommen. Aber alles andere … Lady Cahill runzelte kritisch die Stirn. Das Haar war mittelbraun ohne einen Hauch von Gold, Bronze oder Rot, der es über den Durchschnitt hinausgehoben hätte. Im Moment war es zu einem schlichten Knoten zusammengefasst, ohne modische Korkenzieherlocken oder Bänder. Tatsächlich deutete nichts darauf hin, dass das Mädchen auf sein Äußeres achtete. Seine schwarzen Sachen, die lose an seinem zerbrechlichen Körper hingen, waren langweilig und trist, wenn auch makellos sauber.
Kate, die unter dem durchdringenden Blick der blauen Augen errötete, schob stolz ihr Kinn vor. “Womit kann ich dienen?”, wiederholte sie lauter und mit ein wenig Gereiztheit in der dunklen, ein wenig heiseren Stimme.
“Dienen? Papperlapapp!”
Erstaunt ob dieser absonderlichen Begrüßung starrte Kate ihre Besucherin an.
“Los, Mädchen, ich möchte hier nicht warten und vom Landvolk begafft werden. Lass mich endlich ein. Unerhört! Manieren sind das!”
Lady Cahill fegte an Kate vorüber in den vorderen Raum. Dort blickte sie sich um, sah die gähnende Leere, die helleren Flecken an den Wänden, wo einst Bilder gehangen hatten, die allgemeine Dürftigkeit. Im Kamin brannte trotz der Kälte kein Feuer.
Kate schluckte. Es würde schwer sein, angesichts dieser Unhöflichkeit Demut zu üben. Doch sie konnte es sich nicht leisten, ihre zukünftige Herrin gegen sich aufzubringen, die Einzige übrigens, die Interesse gezeigt hatte.
“Ich nehme an, dass ich die Ehre mit Mrs. Midgely habe?”
Die alte Dame ließ ein Schnauben hören.
Kate nahm das Geräusch als Bestätigung. “Da Sie persönlich kamen, Madam, gehe ich davon aus, dass ich für die Stelle infrage komme.”
“Pa! Welche Erfahrung hast du für diese Arbeit?”
“Ein wenig, Madam. Ich kann frisieren und recht gut nähen.”
“Wo warst du zuletzt?”
“Bis vor Kurzem führte ich den Haushalt für meinen Vater und meine Brüder. Wie Sie sehen …”, sie deutete auf ihr schwarzes Kleid, “… hatte ich kürzlich einen Trauerfall.”
“Und was ist mit den anderen Angehörigen?”
Die Arroganz und Überheblichkeit der alten Frau ließen darauf schließen, dass sie sehr hohe Ansprüche stellte. Kate gestand sich zähneknirschend ein, dass ihr nichts übrig blieb, als sich ausfragen zu lassen.
“Ich habe keine mehr.”
“Hm, du scheinst ein wohlerzogenes Mädchen aus guter Familie zu sein. Warum hast du dich nicht um eine Stelle als Gesellschafterin oder
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