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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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würd’s nie schaffen, dass einer besser aussieht als vorher.«
    Meine Mutter verschloss das Fläschchen und griff nach einem Tiegel. Sie schraubte ihn auf und tunkte ein kleines Schwämmchen hinein.
    »Was?«, sagte ich. »Ich verstehe das nicht.«
    Meine Mutter hielt das Schwämmchen hoch wie ein Maler vor der Leinwand.
    »Wir haben gemeinsam bei anderen Leuten geputzt, Charley«, sagte sie.
    Als sie meinen Gesichtsausdruck sah, machte sie eine wegwerfende Handbewegung. »Was glaubst du wohl, wie ich euch Kindern das Studium finanziert habe?«
    Im zweiten Studienjahr hatte ich fast zehn Pfund an Muskelmasse zugelegt, was man meinen Schlägen anmerkte. Unter den studentischen Baseballspielern des Landes gehörte ich zu den ersten fünfzig. Auf Drängen meines Vaters hin trat ich bei mehreren Spielen an, zu denen Scouts für Profispieler kamen, ältere Männer, die mit Notizbuch auf dem Schoß und Zigarre im Mund auf der Tribüne saßen. Eines Tages kam einer von ihnen nach dem Spiel zu uns herüber.
    »Ist das Ihr Junge?«, fragte er meinen Vater.
    Mein Vater nickte argwöhnisch. Der Mann hatte schütteres Haar und eine Knollennase und trug einen dünnen Pullover, durch den man sein Unterhemd sah.
    »Ich gehöre zum Stab der St. Louis Cardinals.«
    »Ah ja?«, erwiderte mein Vater.
    Ich fuhr vor Aufregung fast aus der Haut.
    »Wir hätten vielleicht Interesse an einem Catcher, A-Ebene, Amateurliga.«
    »Ah ja?«, sagte mein Vater wieder.
    »Wir würden Ihren Jungen mal im Auge behalten, falls er Interesse hat.«
    Der Mann schniefte lautstark. Dann förderte er ein Taschentuch zutage und putzte sich die Nase.
    »Die Sache ist die«, sagte mein Vater, »dass Pittsburgh an ihm dran ist. Die beobachten ihn schon eine ganze Weile.«
    Der Mann betrachtete prüfend meinen Vater, der mit unbewegter Miene Kaugummi kaute.
    »Ah ja?«, erwiderte der Mann.
     
     
    Für mich war das natürlich alles neu, und als der Mann abgezogen war, löcherte ich meinen Vater mit Fragen. Wann war das passiert? Meinte der Bursche es etwa ernst? Hatte Pittsburgh tatsächlich Interesse an mir bekundet?
    »Und wenn?«, erwiderte er. »Das ändert nichts daran, was du jetzt tun musst, Chick. Du bleibst hier auf dem Feld und arbeitest mit deinen Trainern, und wenn die Zeit reif ist, dann bist du bereit. Um den Rest kümmere ich mich.«
    Ich nickte folgsam, aber meine Gedanken überschlugen sich.
    »Und was ist mit der Uni?«
    Er kratzte sich am Kinn.
    »Was soll damit sein?«
    Ich sah das Gesicht meiner Mutter vor mir, als sie durch die Bibliothek ging, und bemühte mich, es zu vergessen.
    »Die St. Louis Caaaardinals «, sagte mein Vater im typischen Südstaaten-Singsang. Er bohrte seine Schuhspitze ins Gras. Dann grinste er tatsächlich. Und ich bekam Gänsehaut vor Stolz. Er fragte mich, ob ich Lust hätte auf ein Bier, und ich bejahte. Dann tranken wir eines zusammen, wie es unter Männern üblich ist.
     
     
    »Papa war bei einem Spiel von mir.«
    Ich sprach von dem Münztelefon im Wohnheim. Inzwischen hatte ich meinen Vater schon viel öfter gesehen, aber ich fand erst jetzt den Mut, es meiner Mutter zu erzählen.
    »Oh«, antwortete sie nach längerem Schweigen.
    »Er ist von sich aus gekommen«, fügte ich rasch hinzu. Das schien mir aus irgendeinem Grund wichtig zu sein.
    »Hast du es deiner Schwester erzählt?«
    »Nein.«
    Wieder ausgedehntes Schweigen.
    »Lass dich nicht von deinem Studium ablenken, Charley.«
    »Mach ich schon nicht.«
    »Das ist das Allerwichtigste.«
    »Ich weiß.«
    »Eine Ausbildung zu haben, ist das A und O im Leben, Charley. Nur mit einer Ausbildung kannst du etwas aus dir machen.«
    Ich wartete auf weitere Bemerkungen. Wartete auf irgendeine schauerliche Geschichte. Wartete wie alle Scheidungskinder auf etwas, das mich veranlassen könnte, mich auf eine Seite zu schlagen und die andere abzulehnen. Doch meine Mutter sprach niemals über die Gründe, die meinen Vater dazu bewogen hatten, uns zu verlassen. Sie biss nie an, wenn Roberta und ich Köder auslegten, nach Hass oder Bitterkeit Ausschau hielten. Meine Mutter schluckte alles hinunter. Sie schluckte die Wörter hinunter, die Gespräche. Und was zwischen meinem Vater und ihr vorgefallen war, hatte sie auch hinuntergeschluckt.
    »Ist es okay für dich, wenn ich und Papa uns treffen?«
    »Papa und ich«, korrigierte sie mich.
    »Papa und ich«, wiederholte ich entnervt. »Ist es okay?«
    Sie atmete aus.
    »Du bist kein kleiner Junge mehr, Charley.«
    Und

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