Nur einen Tag noch
versetzte meiner Mutter einen Tiefschlag. Man hatte mir eine Chance bei den Pittsburgh Pirates angeboten, wo ich im Winter spielen und es dann vielleicht auf deren Spielerliste schaffen würde. Mein Vater fand, dass nun der rechte Zeitpunkt gekommen war. »Du kannst jetzt nichts mehr dazulernen, wenn du nur gegen Studenten spielst«, sagte er.
Als ich diese Idee meiner Mutter vortrug, schrie sie: »Unter keinen Umständen!« Es war ihr einerlei, dass ich dort Geld verdienen würde. Es war ihr einerlei, dass die Scouts mich für talentiert hielten und ein echtes Potenzial bei mir sahen. Es blieb bei »unter keinen Umständen«.
Doch das sah ich anders.
Ich ging ins Unibüro, meldete mich ab, packte meine Sachen und ließ die Uni hinter mir. Viele junge Männer meines Alters wurden damals nach Vietnam geschickt. Doch das Schicksal war mir hold, und ich zog eine niedrige Zahl bei der Einberufungslotterie. Mein Vater, der selbst Kriegsveteran war, wirkte erleichtert. »Du musst das nicht erleben, was man in einem Krieg durchmacht«, sagte er.
Stattdessen tanzte ich nach seiner Pfeife: Ich ging zu einem Amateurclub in San Juan in Puerto Rico, und meine Studentenzeit war damit beendet. Was soll ich dazu sagen? Ließ ich mich vom Baseball oder von den Wünschen meines Vaters lenken? Ich nehme mal an, von beidem. Es kam mir richtig vor, als hätte ich die Spur aus Brosamen wiedergefunden, der ich als Junge gefolgt war – bevor alles durcheinandergeriet, bevor mein Leben als Mamakind begann.
Ich weiß noch, wie ich meine Mutter aus dem Motel in San Juan anrief. Ich war direkt von der Uni aus dorthin geflogen – der erste Flug meines Lebens. Zu Hause wollte ich mich nicht mehr blicken lassen, weil ich wusste, dass sie mir eine Szene gemacht hätte.
»Ein R-Gespräch von Ihrem Sohn«, sagte der Vermittler mit puertoricanischem Akzent.
Als meiner Mutter klar wurde, wo ich war und dass sich nichts mehr ändern ließ, wirkte sie benommen. Ihre Stimme klang tonlos. Sie fragte mich, ob ich ausreichend Kleider bei mir hätte. Wo würde ich essen? Es kam mir vor, als lese sie mechanisch von einer Liste ab.
»Bist du da in Sicherheit, wo du wohnst?«, fragte sie.
»In Sicherheit? Ich denke schon.«
»Kennst du jemanden?«
»Noch nicht. Aber es sind ja andere Jungs in der Mannschaft. Und ich wohne mit jemandem zusammen. Der kommt aus Indiana oder Iowa oder so.«
»Hm.«
Stille.
»Mama, ich kann später immer noch weiterstudieren.«
Diesmal dauerte das Schweigen länger an. Bevor wir das Gespräch beendeten, sagte sie nur einen einzigen Satz:
»Irgendwohin zurückzukehren ist schwieriger, als du glaubst.«
Ich glaube, etwas Schlimmeres hätte ich meiner Mutter kaum antun können.
Arbeit, die getan werden muss
M iss Thelma schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück. Meine Mutter fuhr fort, das Make-up aufzutragen. Sie betupfte mit dem Schwämmchen das Gesicht ihrer einstigen Arbeitskollegin, und ich sah ihr mit widerstreitenden Gefühlen zu. Ich hatte es immer für wichtig gehalten, welche Berufsbezeichnung auf den Namen folgt. Chick Benetto, Baseballprofi , nicht Chick Benetto, Vertreter . Nun hatte ich erfahren, dass sich diese Bezeichnung bei meiner Mutter von Posey Benetto, Krankenschwester , über Posey Benetto, Kosmetikerin , zu Posey Benetto, Putzfrau, gewandelt hatte, und es machte mich wütend, dass sie so tief gesunken war.
»Mama...«, sagte ich stockend. »Weshalb hast du kein Geld von Papa verlangt?«
Meine Mutter blickte störrisch.
»Ich brauchte nichts mehr von deinem Vater.«
»Hm«, machte Miss Thelma.
»Wir sind zurechtgekommen, Charley.«
»Hm, jawoll.«
»Warum hast du nicht wieder im Krankenhaus gearbeitet?«
»Weil sie mich dort nicht wollten.«
»Und wieso hast du das nicht angefochten?«
»Macht einen so was glücklich?« Sie seufzte. »Damals ging es nicht zu wie heute, wo die Leute wegen jeder Kleinigkeit klagen. Es gab weit und breit kein anderes Krankenhaus. Und wir konnten nicht einfach dort wegziehen. Dort hatten wir unser Zuhause. Ihr Kinder musstet schon genug Veränderungen ertragen. Es ging ja auch alles. Ich hatte Arbeit.«
»Als Putzfrau«, murmelte ich.
Sie ließ die Hände sinken.
»Mir ist das keineswegs so peinlich wie dir«, sagte sie.
»Aber...« Ich suchte nach Worten. »Du konntest nicht das tun, was dir am Herzen lag.«
Meine Mutter blickte mich an, eine Spur Trotz in den Augen.
»Ich habe getan, was mir am Herzen lag«, sagte sie. »Ich war
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