Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
Vom Netzwerk:
Mädchen, mit denen Du ausgehst. Ich weiß, dass Du in Herzensdingen keinen Wert auf meinen Rat legst, aber wenn Du den Mädchen gefällst, gibt Dir das noch lange nicht das Recht, gemein zu ihnen zu sein. Sei nett.
    Und achte darauf, dass Du ausreichend schläfst. Josie, die immer zu mir in den Salon kommt, hat mir erzählt, dass ihr Sohn in seinen Seminaren einschläft. Du solltest Deine Lehrer nicht so beleidigen, Charley. Schlaf nicht ein im Seminar. Du hast so ein Glück, dass Du dort etwas lernen darfst und nicht irgendwo in einem Laden arbeiten musst.
    Ich habe Dich sehr lieb
    und vermisse Dich.
    In Liebe
    Deine Mama

Wenn Geister wiederkehren
    I ch habe oft davon geträumt, meinen Vater wiederzufinden. Ich träumte, er sei in die Nachbarstadt von Pepperville Beach gezogen, und ich würde eines Tages zu seinem Haus radeln, an die Tür klopfen und von ihm erfahren, dass alles nur ein großes Missverständnis gewesen sei. Dann würden wir auf meinem Rad zusammen heimfahren, ich auf der Lenkstange, er auf dem Sitz, in die Pedale tretend wie ein Wilder, und meine Mutter würde aus dem Haus gelaufen kommen und vor Glück in Tränen ausbrechen.
    Es ist erstaunlich, was für Fantasien man so entwickelt. In Wirklichkeit hatte ich keine Ahnung, wo mein Vater jetzt wohnte, und ich habe es auch nie erfahren. Nach der Schule ging ich oft zu seinem Spirituosengeschäft, aber er war nie da. Sein Freund Marty, der den Laden übernommen hatte, sagte mir, mein Vater arbeite jetzt nur noch in seinem Geschäft in Collingswood. Der Ort war eine Stunde Autofahrt entfernt, aber für ein Kind ist das so weit weg wie der Mond. Irgendwann ging ich nicht mehr zu seinem alten Laden und stellte mir auch nicht mehr vor, wie wir gemeinsam nach Hause radelten. Während meiner gesamten Schulzeit gab es keinerlei Lebenszeichen von meinem alten Herrn.
    Er war ein Geist.
    Aber ich sah ihn noch immer vor meinem geistigen Auge.
    Ich sah ihn jedes Mal, wenn ich den Schläger schwang oder den Ball warf. Und deshalb habe ich Baseball nie aufgegeben, spielte jedes Jahr im Frühling und Sommer in jedem erdenklichen Team und jeder Liga. Dann konnte ich mir vorstellen, wie mein Vater an der Abschlagplatte stand und meine Ellbogen in die richtige Position brachte. Ich konnte ihn hören, wie er »Tempo, Tempo, Tempo« schrie, wenn ich nach einem Bodenball losrannte.
    Jeder Junge kann sich seinen Vater auf dem Baseballfeld vorstellen. Für mich war es nur eine Frage der Zeit, bis er wirklich auftauchen würde.
    Und so zog ich jedes Jahr neue Trikots an – rote Socken, graue Hosen, blaue Hemden, gelbe Kappen -, und kam mir jedes Mal vor, als mache ich mich fein für einen Besuch. Meine Jugend war geprägt vom Papiergeruch der Bücher, die meiner Mutter am Herzen lagen, und dem Ledergeruch der Baseballhandschuhe, die zur Leidenschaft meines Vaters gehörten. Mein Körper wuchs nach seinen Maßen heran, wurde kräftig und breitschultrig, aber auch noch eine Spanne größer als der meines Vaters.
    Und während ich heranwuchs, klammerte ich mich an den Sport wie ein Schiffbrüchiger im tosenden Meer an eine Planke.
    Bis mir der Sport tatsächlich meinen Vater zurückbrachte.
    Was ich immer schon geahnt hatte.
    Nach achtjähriger Abwesenheit tauchte er bei meinem ersten Spiel in der Unimannschaft auf. Im Frühjahr 1968 saß er auf einem der vorderen Plätze links von der Abschlagplatte, wo er meine Haltung am besten überprüfen konnte.
    Diesen Tag werde ich niemals vergessen. Der Himmel war bleigrau, und ein heftiger Wind drohte Regen zu bringen. Ich ging zur Abschlagplatte. Normalerweise schaue ich nicht auf die Zuschauertribüne, doch aus irgendeinem Grund tat ich es an diesem Tag. Und da saß er. Seine Haare waren an den Schläfen grau geworden, die Schultern wirkten schmaler und die Hüften breiter, als sei er etwas in sich zusammengesackt, aber ansonsten sah er unverändert aus. Wenn ihm unbehaglich zumute war, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Ich bin mir ohnehin nicht sicher, ob ich die Miene meines Vaters jemals richtig deuten konnte.
    Er nickte mir zu, und die Zeit schien stehen zu bleiben. Acht Jahre. Acht endlose Jahre. Ich spürte, wie meine Oberlippe zu zittern begann, und weiß noch, dass eine Stimme in meinem Kopf sagte: Wag es bloß nicht, Chick. Wag es bloß nicht, jetzt loszuheulen, du Memme .
    Ich blickte auf meine Füße. Zwang sie dazu, sich zu bewegen. Auf dem ganzen Weg zum Schlagmal schaute ich auf meine Füße.
    Und dann

Weitere Kostenlose Bücher