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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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bei mir, bewirkt, dass alles in Frage gestellt wird, woran man glaubt und was man sich wünscht. Und dass man schwachsinnige Gespräche darüber führen muss, ob die Mutter einen Hüfthalter trägt und ob sie wieder heiraten soll.

Chick entscheidet sich
    V on zwei Tagen meiner Studienzeit möchte ich hier berichten, weil sie den Höhepunkt und den Tiefpunkt dieser Phase darstellten. Der Höhepunkt ereignete sich in meinem zweiten Studienjahr, irgendwann im Herbstsemester. Die Baseballsaison hatte noch nicht angefangen, weshalb ich mehr Zeit mit Freunden verbringen konnte. An einem Donnerstagabend nach den Zwischenprüfungen veranstaltete eine der Studentengruppen eine große Party. Der Raum war dunkel und voller Menschen, die Musik dröhnte laut. Die Poster an der Wand – und die Gäste – wirkten fluoreszierend im Schwarzlicht. Man lachte und prostete sich mit seinen Plastikbechern zu. Irgendwann sprang ein Typ mit langen strähnigen Haaren auf einen Stuhl, spielte Luftgitarre und sang den Song von Jefferson Airplane mit. Daraus entwickelte sich eine Art Wettbewerb. Jeder schaute die Platten in den Milchkisten durch, um einen Song zum »Aufführen« zu finden.
    Ich weiß nicht, wem die Alben gehörten, aber ich entdeckte plötzlich eine Platte, die nicht in diese Sammlung passte, und schrie meinen Kumpeln zu: »Hey, wartet mal! Schaut euch das hier an!« Es war die Bobby-Darin-Single, die meine Mutter gehört hatte, als wir noch klein waren. Bobby Darin trug einen weißen Smoking auf dem Cover und hatte peinlich kurz geschnittene Haare.
    »Die kenne ich!«, rief ich. »Den Song kann ich auswendig!«
    »Bloß nicht«, bemerkte einer.
    »Leg doch mal auf!«, rief ein anderer. »Schaut euch nur den Lackaffen an!«
    Wir eroberten den Plattenspieler und legten »This Could be the Start of Something Big« auf. Als die ersten Töne erklangen, erstarrten alle, da hier von Rock and Roll nicht die Rede sein konnte. Plötzlich stand ich mit meinen beiden Kumpels im Mittelpunkt. Die blickten sich peinlich berührt an und deuteten auf mich. Ich war jedenfalls guter Stimmung und dachte mir: Was soll’s? Und fing zum Sound der Trompeten und Klarinetten zu singen an:
    »You’re walkin’ along the street, or you’re at a party
    Or else you’re alone and then you suddenly dig,
    You’re lookin’ in someone’s eyes, you suddenly realize
    That this could be the start of something big.«
    Dazu schnippte ich mit den Fingern wie die Schnulzensänger aus der Steve Allen Show, und plötzlich lachten alle und johlten: »Yeah! Weiter so, Mann!« Ich steigerte mich richtig rein. Vermutlich konnten die meisten nicht fassen, dass ich den Text von einem so sentimentalen Song auswendig kannte.
    Danach kriegte ich jedenfalls einen Riesenapplaus, und meine Freunde stießen mich an, und wir lachten und rangelten miteinander.
    An diesem Abend lernte ich Catherine kennen, und deshalb war er auch der Höhepunkt in dieser Zeit. Sie hatte mit einigen Freundinnen bei meinem »Auftritt« zugeschaut. Ich hatte sie bemerkt und plötzlich ein Zittern gespürt, obwohl ich mit grandiosen Gesten und Pseudogesang beschäftigt war – diese Wirkung hatte sie von Anfang an auf mich. Sie trug eine ärmellose rosa Baumwollbluse und eng anliegende Jeans. Ihre Lippen schimmerten erdbeerrot, und sie schnippte spielerisch mit den Fingern, als ich Bobby Darin imitierte. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, ob sie mich jemals eines zweiten Blickes gewürdigt hätte, wenn ich mich an diesem Abend mit dem Auftritt nicht so zum Trottel gemacht hätte.
    »Woher kennst du denn diesen Song?«, fragte sie mich, als ich mir ein Bier zapfte.
    »Ähm... von meiner Mutter«, gab ich zur Antwort.
    Und kam mir vollkommen dämlich vor. Wer beginnt schon ein Gespräch, indem er seine Mutter erwähnt? Aber ihr schien die Antwort zu gefallen, und, nun ja, dann ging es los mit uns beiden.
    Am nächsten Tag bekam ich meine Noten, und sie waren gut, zwei Einsen, zwei Zweien. Ich rief im Salon an, ließ meine Mutter ans Telefon holen und berichtete ihr von den Noten und von Catherine und dem Bobby-Darin-Song, und sie freute sich riesig, dass ich sie so mitten am Tag anrief. Über das Getöse der Föhne hinweg rief sie: »Charley, ich bin ja so stolz auf dich!«
    Das war der Höhepunkt meiner Studienzeit.
    Ein Jahr später brach ich mein Studium ab.
    Das war der Tiefpunkt.
     
     
    Ich verließ die Uni, um in der Amateurliga zu spielen. Damit folgte ich dem Rat meines Vaters und

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