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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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umstürzte. Ich war wohl durch die verblüffenden Kräfte der Physik herausgeschleudert worden, bevor das riesige Schild umfiel. Wenn man sterben will, kommt man mit dem Leben davon. Wie soll man sich das nur erklären?
    Mühsam rappelte ich mich auf. Mein Rücken war klatschnass, und mir tat alles weh. Es regnete immer noch ein bisschen, aber vom Zirpen der Grillen abgesehen, war es ganz still. Normalerweise sagt man sich in so einem Moment: »Ein Glück, dass ich noch am Leben bin«, aber das ließ ich bleiben, denn für mich war es kein Glück. Ich blickte zur Autobahn hoch. Ich konnte die Umrisse des Lastwagens erkennen, der wie ein Schiffswrack aussah. Die Kabine war abgeknickt wie bei einem gebrochenen Genick, und Dampf stieg aus der Motorhaube auf. Ein Scheinwerfer strahlte noch, und am Hang glitzerten Glassplitter wie Diamanten.
    Wo war der Fahrer? War er verletzt? Blutete er? Atmete er noch? Wäre ich beherzter gewesen, hätte ich nachgesehen, aber über Mut verfügte ich in diesem Moment nicht in rauen Mengen.
    Deshalb ließ ich es bleiben.
    Stattdessen marschierte ich Richtung Süden, zu meiner Heimatstadt. Darauf bin ich wahrlich nicht stolz. Aber ich war nicht bei Sinnen in diesem Moment, eher wie eine Art Zombie oder Roboter, der nicht an andere denken kann, nicht einmal an sich selbst – vor allem nicht an sich selbst. Ich vergaß mein Auto, den Laster, die Pistole, ließ alles zurück. Hörte nur das Knirschen meiner Schuhe auf dem Schotter und das Kichern der Grillen.
     
     
    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich gelaufen bin. Jedenfalls so lange, dass der Morgen zu dämmern begann. Der Regen hatte aufgehört. Schließlich kam ich zum Stadtrand von Pepperville Beach, der an dem hohen rostigen Wasserturm hinter dem Baseballfeld sofort zu erkennen war. In kleinen Städten wie meiner galt es als Mutprobe, auf Wassertürme zu klettern, und am Wochenende war ich mit den Jungs aus meiner Mannschaft oft auf diesen Turm gekraxelt, Spraydosen im Hosenbund.
    Nun stand ich wieder am Fuß dieses Turms, durchnässt, alt, kaputt und betrunken und womöglich auch ein Mörder. Das fürchtete ich jedenfalls, weil ich den Fahrer des Lasters nicht gesehen hatte. Aber das spielte auch keine Rolle mehr, denn ich führte mich auch weiterhin ziemlich hirnlos auf, weil ich so wild entschlossen war, meinem Leben ein Ende zu setzen.
    Ich ging zu der Leiter im Inneren.
    Und stieg sie hinauf.
    Es dauerte eine Weile, bis ich es nach oben zu dem Wassertank geschafft hatte. Dort brach ich dann keuchend auf dem Steg zusammen, und irgendwo ganz hinten in meinem verwirrten Hirn schalt mich eine Stimme, weil ich so unsportlich geworden war.
    Ich blickte auf die Bäume unter mir. Hinter dem Wäldchen lag das Baseballfeld, auf dem mein Vater mich trainiert hatte. Dieser Anblick rief traurige Erinnerungen wach. Wieso lässt die Kindheit einen niemals aus den Fängen, nicht einmal, wenn man so am Ende ist, dass man kaum glauben kann, jemals ein Kind gewesen zu sein?
    Der Himmel wurde heller, und die Grillen zirpten immer lauter. Plötzlich stand mir ein Bild vor Augen: die kleine Maria, wie sie als Baby auf meiner Brust schlief, nach Puder duftend. Dann sah ich mich, so verdreckt und nass wie jetzt, in ihre Hochzeitsfeier platzen. Die Musik verstummte, alle blickten entsetzt auf, und am schockiertesten sah Maria aus.
    Ich senkte den Kopf.
    Man würde mich nicht vermissen.
    Ich machte zwei weit ausholende Schritte, packte das Geländer und sprang darüber.
     
     
    Alles Weitere ist mir unerklärlich. Ich weiß nicht, worauf ich landete und weshalb ich den Sturz überlebte. Ich erinnere mich nur an Knacken und Krachen und Schürfen und einen letzten Aufprall. Diese Narben in meinem Gesicht? Die rühren wohl daher. Es kam mir vor, als habe der Fall sehr lange gedauert.
    Als ich die Augen aufschlug, lag ich zwischen Ästen und Zweigen. Auf meinem Bauch und meiner Brust lasteten Steine. Ich hob den Kopf und sah Folgendes: das Baseballfeld meiner Kindheit im Morgenlicht, die Spielerbänke, das Wurfmal des Pitchers.
    Und meine Mutter, die seit vielen Jahren tot war.

MORGEN

Chicks Mama
    M ein Vater sagte einmal zu mir: »Du kannst ein Mamaoder ein Papakind sein. Aber nicht beides zugleich.«
    Ich entschied mich dafür, Papakind zu sein. Ich ahmte den Gang meines Vaters nach und sein tiefes rauchiges Lachen. Ich trug einen Fanghandschuh mit mir herum, weil er Baseball liebte, und ich fing jeden Hardball, den er warf, auch wenn mir dabei die

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