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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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sich mit hoch erhobenem Zeigefinger zu mir herunterbeugte, um mich zu ermahnen, damit ich mich besserte. Mein Vater war der Mann, der an einer Wand lehnte, rauchte und abwartend zusah, ob ich schwimmen oder untergehen würde.
    Wenn ich heute zurückblicke, hätte ich vielleicht der Tatsache mehr Bedeutung beimessen sollen, dass ein Elternteil sich mir zuneigte und das andere sich nach hinten lehnte. Aber ich war eben ein Kind, und was wissen Kinder schon?
     
     
    Meine Mutter war Protestantin französischer Herkunft und mein Vater Katholik italienischer Herkunft, und in ihrer Ehe gab es einen Dauerzwist über Gott, Schuld und Soße. Sie stritten sich fortwährend. Über die Kinder. Übers Essen. Über die Religion. Wenn mein Vater an der Wand vor dem Badezimmer ein Bild von Jesus aufhängte, nahm meine Mutter es ab, während er bei der Arbeit war, und hängte es an einer anderen Stelle auf. Dann kam Vater nach Hause und schrie: »Herrgott noch mal, du kannst doch Jesus nicht umhängen!«, und sie erwiderte: »Es ist doch nur ein Bild, Len. Glaubst du, Gott möchte sich vorm Badezimmer aufhalten?«
    Woraufhin Vater das Bild an die ursprüngliche Stelle hängte.
    Und Mutter es am nächsten Tag wieder abnahm.
    So ging es ständig zu.
    Es gab nicht nur Streitereien wegen ihrer unterschiedlichen Herkunft und Kultur, sondern die Demokratie in meiner Familie sah so aus, dass die Stimme meines Vaters doppelt zählte. Er entschied, was es zum Abendessen gab, in welcher Farbe das Haus gestrichen wurde, bei welcher Bank wir ein Konto eröffneten, welchen Kanal wir auf unserem Schwarz-Weiß-Zenith-Fernseher einschalteten. Am Tag meiner Geburt teilte er meiner Mutter mit: »Das Kind wird katholisch getauft«, und damit hatte es sich.
    Dabei war er selbst komischerweise nicht fromm. Nach dem Krieg zeigte mein Vater, Besitzer eines Spirituosenladens, weitaus mehr Interesse an Profit als an Prophezeiungen. Und was mich betraf: Ich musste seiner Meinung nach nur an eine Sache glauben, und zwar an Baseball. Er brachte mir Pitchen bei, bevor ich richtig laufen konnte. Er drückte mir einen Baseballschläger in die Hand, bevor meine Mutter mir den Umgang mit einer Plastikschere erlaubte. Er sagte mir, ich würde es eines Tages zum Profi bringen, wenn ich nur »einen Plan« hätte, an den ich mich »strikt halten« würde.
    Wenn man noch so klein ist, richtet man sich natürlich nach den Plänen seiner Eltern und nicht nach seinen eigenen.
    Deshalb studierte ich schon mit sieben Jahren die Spielergebnisse meiner künftigen Arbeitgeber in der Zeitung. Ich deponierte einen Handschuh im Laden meines Vaters, damit er auf dem Parkplatz mit mir üben konnte, wenn er ein paar Minuten Zeit hatte. Manchmal erschien ich sogar zur Messe am Sonntag in Sportschuhen, weil wir nach dem letzten Lied sofort zu den Spielen der American Legion aufbrachen. Als die Kirche als »Gotteshaus« bezeichnet wurde, fragte ich mich beunruhigt, ob der Herr wohl ärgerlich sein würde, wenn meine Stollen sich in den Boden seines Hauses bohrten. Weshalb ich versuchte, auf den Zehenspitzen zu stehen, aber mein Vater raunte: »Was, zum Teufel, machst du da?«, und ich stellte mich schnell wieder normal hin.
     
     
    Meine Mutter dagegen interessierte sich keinen Deut für Baseball. Sie war ein Einzelkind aus einer armen Familie und hatte während des Krieges ihre Schulausbildung abbrechen müssen. In einer Abendschule hatte sie ihren Abschluss nachgeholt und war dann Krankenschwester geworden. Ihrer Ansicht nach standen mir alle Türen offen, sofern ich mich nur fleißig mit meinen Büchern befassen und studieren würde. Das Beste, was sie über Baseball zu sagen wusste, war: »Da bist du an der frischen Luft.«
    Aber sie kam zu den Spielen. Dank des Schönheitssalons im Ort perfekt frisiert, saß sie mit ihrer großen Sonnenbrille auf der Tribüne. Manchmal hielt ich Ausschau nach ihr, wenn ich auf der Spielerbank saß, und ertappte sie dann meist dabei, wie sie ins Weite blickte. Aber wenn ich am Schlagmal stand, nahm sie die Sonnenbrille ab, klatschte und jubelte »Jaaaa, Charley!«, und das war mir wohl am allerwichtigsten. Mein Vater, der jede meiner Mannschaften bis zu dem Tag trainiert hatte, als er verschwand, ertappte mich einmal dabei, wie ich zu ihr hinüberschaute, und brüllte: »Augen zum Ball, Chick! Da oben ist nichts, was dir hilft!«
    Ich gehorchte rasch. Meine Mutter war wohl im »Plan« nicht vorgesehen.
     
     
    Dennoch verehrte ich meine Mutter, so

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