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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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kannst du dir vorstellen, so austauschbar zu sein?«
    Sie blickte zur Wand, auf das Gemälde von den Weinreben.
    »Ich glaube, richtig verstanden habe ich das alles erst ein paar Monate später. Damals im Auto war ich nur außer mir vor Wut. Und todunglücklich. Er schwor, dass es ihm leid täte. Er schwor, er habe nichts von diesem anderen Sohn gewusst, und als er es erfahren habe, wollte er etwas tun. Ich weiß nicht, was an der Geschichte stimmt und was nicht. Auch wenn er schrie, wusste dein Vater noch auf alles eine Antwort.
    Doch es kam ohnehin nicht mehr darauf an. Es war vorbei. Verstehst du? Ich hätte ihm fast alles vergeben, was er mir antun konnte. Doch das war ein Verrat an dir und deiner Schwester.«
    Sie sah wieder mich an.
    »Wenn man Familie hat, Charley, hat man sie im Guten wie im Schlechten. Man kann sie nicht eintauschen. Man kann sie nicht belügen. Man kann nicht zwei Familien haben und zwischen ihnen hin und her pendeln.
    Zu seiner Familie zu halten, das macht sie überhaupt erst zu einer.«
    Sie seufzte.
    »Deshalb musste ich diese Entscheidung treffen.«
    Ich versuchte mir diesen schrecklichen Moment vorzustellen, von außen betrachtet. Ein Auto mit geschlossenen Fenstern nach Mitternacht – drinnen zwei Menschen, die sich anschrien. Ich versuchte mir vorzustellen, wie unsere Familie in dem einen Haus schlief und die andere in dem anderen, und in beiden Häusern hingen die Kleider meines Vaters in den Schränken.
    Ich stellte mir vor, wie die bezaubernde Posey aus Pepperville Beach in dieser Nacht ihr altes Leben einbüßte, wie sie weinte und schrie, als es vor ihren Augen in Stücke brach. Und mir wurde klar, dass dieses Verhalten von ihr auf der Liste »Als meine Mutter sich für mich einsetzte« ganz oben stehen musste.
    »Mama«, flüsterte ich schließlich, »was hast du zu ihm gesagt?«
    »Ich habe ihm gesagt, er solle verschwinden. Und sich nie wieder blicken lassen.«
    Nun wusste ich also, was in der Nacht vor den Cornpuffs geschehen war.
     
     
    Vieles in meinem Leben würde ich im Nachhinein gerne anders machen. Viele Momente würde ich anders gestalten. Wenn ich nur eine einzige Sache ändern könnte, würde ich sie nicht für mich ändern, sondern für meine Tochter Maria, die an jenem Sonntagnachmittag ins Schlafzimmer lief, um ihre Großmutter zu suchen, und sie dort reglos am Boden entdeckte. Maria versuchte sie zu wecken. Sie schrie. Sie rannte hinaus und wieder ins Zimmer zurück, wusste nicht, ob sie um Hilfe rufen oder lieber bei ihr bleiben sollte. Das hätte niemals geschehen dürfen. Sie war noch ein Kind.
    Ich glaube, dass es mir danach schwerfiel, meiner Tochter und meiner Frau noch in die Augen zu blicken. Ich glaube, dass ich deshalb so viel trank und in ein anderes Leben auswich, weil ich in meinem Inneren das Gefühl hatte, mein vorheriges Leben nicht mehr verdient zu haben. Ich lief davon. Mein Vater und ich, fürchte ich, waren uns in dieser Hinsicht auf traurige Weise ähnlich. Als ich zwei Wochen später mit Catherine im Bett lag und ihr gestand, wo ich gewesen war, dass ich keine Geschäftsreise unternommen hatte, sondern in einem Stadion in Pittsburgh Baseball spielte, während meine Mutter starb, war sie wie betäubt. Sie sah aus, als wolle sie etwas sagen, aber es kam ihr nie über die Lippen.
    Schließlich sagte sie nur: »Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.«
     
     
    Meine Mutter trat an das einzige Fenster des kleinen Schlafzimmers und schob die Vorhänge beiseite.
    »Es ist dunkel draußen«, sagte sie.
    Hinter uns, vor dem Spiegel, blätterte die Italienerin in ihren Papieren.
    »Mama«, sagte ich, »hasst du sie?«
    Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Warum sollte ich sie hassen? Sie wollte doch nur dasselbe wie ich. Und sie hat es auch nicht bekommen. Die Ehe ging auseinander. Dein Vater ist weggegangen. Wie gesagt: Das tat er gerne.«
    Sie umfasste ihre Ellbogen, als wäre ihr kalt. Die Frau vor dem Spiegel barg das Gesicht in den Händen und schluchzte leise.
    »Geheimnisse, Charley«, flüsterte meine Mutter, »die zerreißen dich innerlich.«
    Wir blieben alle drei eine Weile stumm, jeder in seiner eigenen Welt. Dann wandte sich meine Mutter mir zu.
    »Du musst jetzt gehen«, sagte sie.
    »Gehen?« Mir stockte der Atem. »Wohin? Warum?«
    »Aber, Charley…« Sie nahm meine Hände. »Vorher möchte ich dich noch etwas fragen.«
    Tränen standen ihr in den Augen.
    »Wieso willst du sterben?«
    Ich schauderte. Einen Moment lang bekam

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