Lust und Gefahr
1. KAPITEL
M ax DeLuca trat aus dem Privataufzug und ging durch den schwach beleuchteten Salon des Firmenpenthouses in Boston. Es war nach Mitternacht, aber trotzdem schaltete er keine zusätzlichen Lampen ein. Ellie lag im Gästezimmer, und er wollte sie nicht aufwecken.
Oder doch?
Er hielt kurz an und sog den leichten Duft von Parfüm ein, der in der Luft hing. Die Wut, die in ihm brodelte und die ihn gequält hatte, seit er vor zwölf Stunden Rom verlassen hatte, verschwand. An ihre Stelle trat eine andere, eine elementare Empfindung: ein heftiges, fast schmerzliches Feuer, das ihn plötzlich erregte. Das schlagartige Verlangen durchfuhr ihn ebenso heftig wie zuvor der Zorn.
Oh, es gab eine Menge Dinge, die er mit seiner Schwägerin – seiner ehemaligen Schwägerin – tun wollte, aber all diese Dinge erforderten ihre volle Aufmerksamkeit. Im Moment war Dornröschen also sicher.
Missmutig machte er einen Abstecher an die Bar. Es war ganz gut so, dass sie nicht wach war. Er hatte miserable Laune und den ganzen Tag über Streit gesucht – aus Gründen, die nur bedingt etwas mit Ellie zu tun hatten.
Was nicht bedeutete, dass er keinen guten Grund hatte, im Augenblick so mies gelaunt zu sein. Wenn es um Ellie ging …
Er schob den Gedanken beiseite. Die Vergangenheit war wie Treibsand: Sie wartete nur auf den ersten gedanklichen Fehltritt, um einen herunterzuziehen. »Tu dir selbst einen Gefallen und kümmere dich um das gerade anstehende Problem«, murmelte er. Und das Problem, das im Augenblick anstand, war rein geschäftlich. Max wollte, dass Ellie eine Vereinbarung unterzeichnete, um die Dauer der Regelungen auszudehnen, die sein Halbbruder in seinem Testament verfügt hatte. Diese Abmachung würde ihm auch weiterhin die uneingeschränkte Kontrolle über ihre Aktienanteile an seiner Firma garantieren. Vom finanziellen Standpunkt aus gesehen war sein Angebot vernünftig. In den drei Jahren seit Stefans Tod war Max strategisch kluge geschäftliche Partnerschaften eingegangen, und dadurch hatte DeLuca Shipping International sein Geschäftsvolumen fast verdoppelt. Den neuen Verträgen zuzustimmen war eine Routineangelegenheit, die eigentlich schon vor Monaten hätte erledigt werden sollen.
Unglücklicherweise war zwischen Ellie und ihm noch nie irgendetwas Routine gewesen. Ihre jeweiligen Anwälte hatten sich von Anfang an nicht gut verstanden. Dann hatte die Presse die Story ausgeschlachtet und öffentlich die ethischen und moralischen Grundsätze von Max’ Firmenpolitik hinterfragt. Zu dem Zeitpunkt hatte Ellie sich aus den Verhandlungen zurückgezogen und war wochenlang nicht erreichbar gewesen.
Bis vor zwei Tagen. Sie hatte eine E-Mail an Max’ private Adresse geschickt. Ihre Nachricht war rätselhaft gewesen:
Ich möchte Dir einen privaten Deal vorschlagen. Einen Deal, der uns beide befriedigen wird.
Seine Neugierde hatte ihn fast wahnsinnig gemacht. Genau wie seine Lust. Er war bereit gewesen, alles Mögliche zu versprechen, um sie wieder an den Verhandlungstisch zurückzuholen. Doch sie hatte sich geweigert, Details mit ihm zu besprechen, und stattdessen auf einem persönlichen Treffen von Angesicht zu Angesicht bestanden: nur wir beide. Weil ihre erstaunliche E-Mail ihm eine ziemlich hartnäckige Erektion beschert hatte, war er drauf und dran gewesen, heute Abend einen Vertreter zu schicken. Aber er hatte befürchtet, dass sie das verärgern und die Verhandlungen dauerhaft erschweren und schädigen würde. Komisch, wie all diese Sorgen während des Fluges verblasst waren. Eine kleine Dosis Wut – oder, um ehrlich zu sein, eine ziemlich große Dosis – hatte ihren Zweck erfüllt. Vielleicht sogar ein bisschen zu gut. Bevor er sich mit Ellie treffen würde, musste er sich beruhigen und über alles nachdenken.
Er warf seinen Aktenkoffer auf einen Ledersessel und wandte sich der Hausbar zu. Die kunstvoll verzierte Karaffe aus Ebenholz enthielt sein Lieblingsstärkungsmittel für angespannte Nerven: einen ausgesprochen seltenen, vierzig Jahre alten Single Malt Scotch. Er füllte genau zwei Finger breit in ein Glas und schenkte sich dann noch etwas nach. Das hatte er sich verdient. Bevor er einen Schluck nahm, erhob er das Glas zu einem stummen Toast in Richtung der Ahnengalerie an der Wand. Noch eine Familientradition, die Max nicht vorhatte fortzuführen.
Nach sechs Generationen patriarchalischer Maßlosigkeit und legendärer Ausschweifungen hatte DeLuca Shipping International schon am Rande des
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