Nur für Schokolade
stehen Sie auf. Sie haben das letzte Wort. Sie haben den Staatsanwalt gehört, haben verstanden, welche 260
Strafe er für Sie beantragt hat. Haben Sie noch etwas zu sagen?« sagt der Vorsitzende Richter. Leszek erhebt sich und gibt sich sehr bescheiden. Mit ruhiger Stimme fordert er: »Ich will freigesprochen werden, obwohl ich davor Angst habe.
Wenn mich das Gericht inhaftieren will, dann bitte ich Sie, mich in eine sichere Anstalt zu verlegen, da ich nicht weiß, wie die Familien der Opfer reagieren werden. Ich habe große Angst, daß man mir etwas antun wird, und ich will nicht sterben.«
Der Richter unterbricht: »Was stellen Sie sich unter einer sicheren Haft vor?«
»Weit weg von meinem Wohnort, bitte weit weg!« Mit
diesen Worten Leszeks ist dieser Verhandlungstag beendet und das Gericht gibt die Urteilsverkündung für Montag, den 9.
Dezember 1996, bekannt.
Das Urteil
Endlich ist das Warten auf diesen Tag, den 9. Dezember 1996, vorbei. Bereits Stunden vor Prozeßbeginn sind die Gänge vor dem Saal 114 überfüllt. Zahllose Fernsehanstalten, ein Heer von Journalisten, drängen sich um die besten Plätze und einige Zuhörerplätze werden von der Polizei freigehalten.
Plötzliches Raunen im Gang, als sich ein Ehepaar durch die fragenden Reporter drängt. Hand in Hand kommen Sylwia R.s Mutter und Vater den Gang entlang. Beide blicken wie
versteinert und nehmen nicht wahr, was um sie geschieht. Ein Polizeibeamter nimmt die Mutter an der Hand und begleitet beide in den Saal. In der ersten Reihe der Zuhörerplätze, die mit Zetteln reserviert sind, haben es sich längst Presseleute und Fotografen bequem gemacht, doch als sie das Ehepaar R.
sehen, werden sofort zwei Plätze geräumt. Alle reden auf die beiden ein, doch ihr Blick gilt nur der Bank, auf der Leszek 261
Pekalski Platz nehmen wird. Welche Gefühle muß diese Frau in sich tragen, wie wird sie damit fertig werden, in wenigen Minuten dem Mann gegenüberzustehen, der ihrer Tochter und damit auch ihr so unsagbares Leid zugefügt hat? Sie, die derbe Bauersfrau, die ihr Leben lang schwer arbeiten mußte, was ihre Hände beweisen. Nun sitzt sie da und hofft auf eine gerechte Strafe für all das, was man ihrer Tochter angetan hat. Kein Außenstehender weiß, welche Strafe sie für ausreichend halten würde, um zu sühnen, was ihr Kind erleiden mußte. Die Todesstrafe – vielleicht, aber sie wäre keine Strafe für ihn, weil sie ihn nicht lange genug leiden läßt, oder lebenslänglich hinter Gittern? Niemand vermag, in das Herz dieser Frau zu sehen.
Aufgeregt sehen sich die Polizeibeamten im Saale um und ihr Blick gilt nur dieser Frau. Man weiß, daß sie Leszek Pekalski schon einmal mit einer Hacke erschlagen wollte, doch sie hatte vor Aufregung das Werkzeug vergessen.
Noch vor Tagen sagte sie: »Man soll ihn uns geben, dann erhält er seine gerechte Strafe!«
Will sie sie heute vollstrecken? Keiner der Beamten will dieses Ehepaar durchsuchen, sie sehen nur unentwegt auf die mitgebrachte Tasche von Sylwias Mutter. Doch jeder kann erkennen, daß in dieser kleinen Handtasche nur ein Revolver versteckt sein könnte, und das traut man ihr wiederum nicht zu.
Auch ihr Mann läßt unter seinem großen schwarzem Hut
keinerlei Regung erkennen, man merkt, ihn stört das
Blitzlichtgewitter der Fotografen, das nicht enden will. Alle Fotografen und Kameraleute sind darauf bedacht, sich und ihre Kamera so zu platzieren, daß man das Ehepaar R. vor der Linse hat. Offensichtlich ist das Gericht bereit, die Verhandlung zu eröffnen, denn die Protokollführerin hat bereits Platz genommen. Ein Blick auf den Gang verrät, wie aufgeregt die Beamten sind, die Leszek in den Saal führen müssen. Nun sind alle Kameras und Fotoapparate auf die Tür gerichtet, durch die jeden Moment Leszek Pekalski zur Urteilsverkündung vor-262
geführt werden wird. Maßloses Gedränge in den Zuhörerreihen und man kann sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Der Staatsanwalt betritt den Raum und begrüßt das Ehepaar R., bevor er seinen Platz einnimmt. Auch die beiden Anwälte Leszeks sind auf ihren Plätzen und ihr Blick ist nur auf die Eltern Sylwias gerichtet.
Einer der Verteidiger atmet tief durch und man kann seine Gefühle erkennen; Mitleid mit diesen beiden Menschen. Das durch die Scheinwerfer erzeugte grelle Licht richtet sich auf die Eingangstür des Saales und alles wartet auf den Auftritt des
»Hauptdarstellers«, eines Stars, dem eigentlich nicht die geringste
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