Nur Gutes
die da drin sei eine Türkin, so laut schreit sie. Irgendwann kam ein Arzt gerannt und steckte mir eine Nadel in den Arm, einen Schlauch, mein Blutdruck war gefallen. Die Hebamme streichelte mein Gesicht. Und so fort. Eine normale Geburt. Aber dieses Geräusch kann ich nicht vergessen, diesen Ton, als der Arzt durch mein Fleisch schnitt, damit das Kind mehr Platz hatte, um auf die Welt zu kommen. Wie durch dicken Karton, so klang es, als der Arzt durch den Damm schnitt. Und dann schrie dieses Kind, das ich nicht töten wollte, aber auch nicht lieben. Ein Mädchen, sagte die Hebamme. Das war so abgemacht, dass man mir sagte, ob es ein Mädchen sei oder ein Junge. Ein Mädchen! Es schrie und schrie. Ich wollte es sehen, unbedingt wollte ich es jetzt sehen. Das sollten Sie nicht, sagte die Hebamme. Das dürfen Sie nicht, sagte sie. Ich schrie: Ich will es sehen, du Schlampe, zeig mir das Kind! Sie zeigte es mir, mein blaues blutiges Bündel.›
Anna aß die Waffel.
Anna sagte, deshalb, vielleicht, habe sie Simon nie geschrieben, aus Angst, er könne wollen, was sie nicht wollte, eine Fortsetzung.
Das habe er nicht gewusst, dass Paul Großvater war, sagte Albert, das habe Paul ihm nie erzählt, mit keinem Wort.
‹Als wir dich im Gerichtssaal sahen, warst du bereits Mutter?›, fragte Dagmar.
11 Selassie
‹Wann wollen Sie los?›, fragte Albert.
‹Jetzt. Bald›, sagte Anna. ‹Es ist dunkel genug, nicht wahr?›
‹Gut›, sagte Albert und drehte sich vom Fenster weg, ging einige Schritte Richtung Flur, dann Richtung Kühlschrank, setzte sich endlich auf das kurze schwarze Sofa. Traurig sieht er aus, ratlos, dachte Dagmar.
Dagmar sagte: ‹Anna, vielleicht sollten Sie, bevor Sie gehen, noch etwas essen. Waffeln allein machen nicht satt.›
Sie sah zur Uhr, zwanzig nach sechs.
‹Vielleicht›, sagte Anna.
‹Im Kühlschrank steht Käse. Wir haben Brot. Auch Eier. Ich kann, wenn Sie mögen, den Braten wärmen. Oder mögen Sie ihn kalt?›
‹Etwas Käse.›
‹Nichts dazu?›
‹Ein bisschen Brot.›
Albert drückte sich aus dem Sofa und ging zum Kühlschrank, nahm daraus den Käse, Gruyère und Camembert, trug ihn zum Tisch, er holte Brot, drei Teller, drei Messer, drei Gläser auf hohen Stielen, Albert setzte sich auf seinen Stuhl, goss Wein in die Gläser und schwieg.
‹Anna trinkt keinen Wein›, sagte Dagmar.
‹Jetzt doch›, sagte Anna.
‹Sie fahren›, fragte Albert, ‹wahrscheinlich zum Nordbahnhof?›
‹Hauptbahnhof›, sagte Anna leise, ‹dort sind mehr Menschen um diese Zeit, denke ich.›
‹Dass das nie verjährt›, sagte Dagmar. ‹Essen Sie, Anna, essen Sie.›
Eigentlich könnte man sich duzen -
‹Zum Hauptbahnhof, von hier, sind es mit der Straßenbahn nur vierzehn Minuten. Gleich hier um die Ecke, Haltestelle Lukasplatz. In vierzehn Minuten ist man beim Hauptbahnhof. Schneller kommt man nicht hin›, sagte Dagmar.
Man schwieg.
‹Und mit dem Auto?›, fragte Anna, ‹halb Lieferwagen, halb Personenwagen.›
Sie schwiegen.
‹Dreißig Minuten, bei diesem Schnee›, sagte Albert.
Albert hob das Glas, Dagmar und Anna hoben die Gläser, man stieß an.
‹Auf was?›, fragte Anna.
‹Auf Simon›, sagte Dagmar.
Eigentlich könnte man sich duzen -
‹Schade, dass er nicht kam›, sagte Anna.
Sie aßen Käse und Brot, tranken Valpolicella.
‹Dieser Wasserhahn!›, sagte Dagmar und stand auf, trat ans Spülbecken und drehte den Hahn zu.
‹Es gibt nur einen Ausgang aus diesem Haus?›
Albert nickte.
‹Und die Garage?›
‹Ja.›
‹Seltsam›, sagte Dagmar, ‹seltsam, Sie nach so vielen Jahren wiederzusehen.›
‹Ich hätte nicht kommen dürfen›, sagte Anna.
‹Ja›, sagte Albert, ‹besser, Sie wären nicht gekommen.›
Anna hob den Rucksack auf den Schoß, hielt ihn umfangen, als wäre er ein Kind, und lachte plötzlich auf.
‹Ich spreche jetzt stumm das Alphabet, und Sie, Frau Mangold, oder Sie, Herr Mangold, sagen irgendwann Halt.›
Dagmar sah zu Albert. Albert schaute weg, zupfte an der rechten Braue.
Was soll das jetzt? -
‹Ich verstehe nicht›, sagte Dagmar.
‹Simons Erinnerungsspiel›, sagte Anna.
Wie im Kindergarten, dachte Albert.
‹Aber wozu?›, fragte Dagmar.
‹Aus Liebe zu Simon›, sagte Anna. ‹A.›
‹Halt!›, sagte Dagmar.
‹S›, sagte Anna, ‹ich war beim Buchstaben S. S wie Sauna, Sand, Salz, Silber, Schule, Stress.›
‹Und jetzt?›, fragte Dagmar.
‹Erinnerungen, die mit S
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