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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Bovenschen
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Bemühen, seine Strategien und Maßnahmen zu durchleuchten.«
    »Was wurde aus Janina? Mir ist sie von allen diesen Gestalten die liebste.«
    »Janina fand einen Tag später einen dicken Umschlag von Charlotte in ihrem Briefkasten, darin waren fünfzehntausend Euro, ein Dankschreiben und ein glänzendes Zeugnis. Das hat sie zwar ein wenig getröstet, aber sie war die Einzige, die wirklich traurig war.«

    »Die Geschichte ist irgendwie unbefriedigend«, sagt Mary.
    »Ja unerhört«, sagt Jean, »es muss sich alles fügen, deshalb lesen die Leute so gerne diese auch von dir favorisierten Romane, weil da immer alles der Gewohnheit und der Wahrscheinlichkeit gemäß und plausibel und befriedigend und angemessen und leicht vorstellbar erklärt wird. Ich aber muss mir nur die Nachrichten eines einzigen beliebigen Tages vor Augen führen, um alles, wirklich alles unbefriedigend und absurd und allenfalls mit Mühe vorstellbar zu finden.«
    »Schon gut«, sagt Mary, »häng es bitte wieder etwas tiefer.«
    Aber diesmal reagierte Jean nicht sofort auf ihren kleinen Verweis.
    »Weißt du«, sagte er, »das Bild da im Salon, das ganze Chaos, die Verwüstung, dieses Finale der alten Furien, das erinnert mich an die Terzette, Quartette oder Sextette vieler Opern, wenn sie alle gleichzeitig ganz Unterschiedliches, ja Gegensätzliches zum Ausdruck bringen, aber doch durch die Harmonik der Musik auf etwas Gemeinschaftliches verwiesen sind. Das kann keine andere Kunst.«
    Mary ist keine Opernliebhaberin.
    »Was hat da stattgefunden? Ein Kampf?«
    »Könnte sein.«
    »Oder eine Orgie?«
    »Könnte auch sein.«
    »Aber es könnte doch auch sein, dass irgendwelche Leute von außen gekommen waren, den Raum verwüstet und diesen Rungholt ermordet haben.«
    »Und dann haben sie alles von innen verriegelt, haben sich entmaterialisiert und sind durch die dicken Mauern geschwebt?«
    »Und die Frauen? Wie sind die aus dem verriegelten Haus geschwebt?«
    »Keine Ahnung«, sagte er. »Was meinst du?«
    »Ein verborgener Geheimgang aus der Kriegszeit noch?«
    »Aha, die Edgar-Wallace-Variante. Nein, nichts zu machen. Da war kein Geheimgang.«
    »Mal abgesehen vom großen Wunder der Verriegelung: Sie könnten entführt worden sein.«
    »Warum sollte jemand vier steinalte Frauen entführen, die zudem völlig pleite sind? Außerdem hat die Polizei keinerlei Hinweise auf irgendeine Einwirkung von außen gefunden.«
    »Wie seltsam.«
    »Ja, das sage ich doch: Seltsam. Wahrscheinlich wird man nie wissen, was in dieser Villa zum Schluss geschah.«

    Der große Hund erwacht, er steht auf, er steckt sich genüsslich, er schaut hoch zu Mary, er wedelt auffordernd mit dem Schwanz.
    »Ich habe Hunger«, sagt Mary. »Lass uns essen gehen.«
    »Ja, gute Idee.«
    Sie stehen auf. Er legt seinen Arm um ihre Schultern und zieht sie eng an sich. Sie sind schon ein paar Schritte so gegangen, als er sagt:
    »Dennoch, ich glaube weiterhin, so wie ich es dir beschrieb, könnte das in der weißen Villa abgelaufen sein. Ich stelle mir vor, dass der Schwan …«
    Marie lacht.
    »Nun mach mal einen Punkt.«

Über Silvia Bovenschen
    Silvia Bovenschen, geboren 1946, lebt als Literaturwissenschaftlerin und Essayistin in Berlin. 2000 wurde sie mit dem Roswitha-Preis der Stadt Bad Gandersheim und dem Johann-Heinrich-Merck-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet, 2007 erhielt sie den Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik und 2012 den Schillerpreis der Stadt Mannheim. Zuletzt erschienen »Wie geht es Georg Laub« (2011), »Wer Weiß Was« (2009), »Verschwunden« (2007), »Älter werden« (2006), »Schlimmer machen, schlimmer lachen« (1990) und »Über-Empfindlichkeit. Spielformen der Idiosynkrasie« (2000).

    Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de

Impressum
    Erschienen bei FISCHER E-Books
     
    © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013
     
    Coverabbildung: Sarah Schumann
     
    Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg
     
    Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
    Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
    ISBN 978-3-10-402711-1

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