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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Bovenschen
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gesucht, in dem du dich vor dem Vater und dir selbst verbergen kannst. Die weiße Villa war deine letzte Bastion.«
    »In jedem Leben ist eine Feigheit«, verkündete der Schwan.
    »Küchenpsychologie von einem altklugen Fratz und einem hochnäsigen Schwan, das hat mir ja gerade noch gefehlt«, sagte Nadine in lahmer Gegenwehr.
    Die Kleine schüttelte das Lockenköpfchen und ging nicht darauf ein. Unbeirrt plapperte sie weiter.
    »Du hast gedacht, da, wo die Mode ist, ist die Verwesung fern. Du Arme. Die Mode stirbt an jedem Tag. Früher einmal war sie Auferstehung und Tod in einem. Aber nicht einmal solch derbe Salti vollbringt sie dieser Tage noch. Sie ist siech. Fast schon hinüber. Künstlich belebt, künstlich beatmet von Kleidertechnikern. An ihrem lahmen Leibe werden nur noch die Teile ausgetauscht. Vielleicht ist sie schon seit vier Jahrzehnten tot – und keiner hat es gemerkt. Lass fahren dahin …«
    »Darüber bin ich lange hinaus«, sagte Nadine.
    »Und der Sex, und die Männer, deren Bewunderung?«
    »Auch darüber bin ich weit hinaus.«
    »Ach schön, so abgeklärt, die Dame. Umso besser. Und wie steht es mit den Vulkanen? Schließlich hat mich dein Gemütsschwall beim Anblick meiner unfertigen Pyramide hierhergeschwemmt.«
    »Wenn du so viel über mich weißt, dann weißt du ja auch, dass meine einst diffuse Angst jetzt einen einzigen Fluchtpunkt hat. Die Angst vor dem bösen Geschwüren in mir selbst und …«
    »Alles halb so wild«, unterbrach die Kleine.
    »Na, ich danke. Du bist ziemlich frivol.«
    »Ich bin ein Kind. Ich muss nicht taktvoll sein. Hin ist hin. Du kannst nicht verlangen, dass ich mich für den Tod interessiere. Warst du stündlich glücklich, als du noch gesund warst, weil du gesund warst?«
    »Nein.«
    »Na also. Vor vier Jahren warst du schon einmal sehr krank. Warst du die folgenden Jahre stündlich glücklich, weil du noch nicht tot warst?«
    »Nein.«
    »Na also. Und kannst du noch etwas wissen?«
    »Nein.«
    »Willst du noch etwas sagen?«
    »Nein.«

    »Soll das noch lange dauern?«, fragte der Schwan und fuhr seinen geschwungenen Hals hoch aus.
    Und auch der rundliche Herr hatte sich schon mehrfach geräuspert.
    Die Kleine runzelte unwillig die Stirn,
    »Geduld bitte. Wir sind ja gleich fertig.«
    »Wir wollen nicht mehr warten.« Das war wieder der schlechtgelaunte Schwan.
    Die Kleine wedelte zornig mit ihrem Schäufelchen.
    »Schämt euch, Nadine hat ihr ganzes Leben gewartet.«
    Sie wandte sich wieder an Nadine.
    »Wartest du immer noch?«
    »Nein.«
    »Eine letzte Frage noch. Willst du meine Begleitung?«
    Nadine nickte.

    Die Kleine zeigte auf den rundlichen Herrn.
    »Your turn.«

    Der rundliche Herr wandte sich mit einer eleganten Drehung an Johanna.
    »Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Monsieur Charlus.«
    Johanna lachte. »Der wurde aber ganz anders beschrieben. Da ist keinerlei Ähnlichkeit mit den Bildvorgaben seines Schöpfers.«
    »Aber meine verehrte Dichterin, seien Sie bitte nicht so langweilig und vorstellungsarm. Ich mache da immer mal eine Recherche, ich tauche zu den inneren Bildern der Leser. Im Moment habe ich die Gestalt, die mir eine vierundachtzigjährige Leserin im Jahre 1952 gab. Und da Sie auch schon sehr betagt sind …«
    Johanna fuhr auf.
    »Unerhört! Mich mit einer törichten Greisin aus den fünfziger Jahren zu vergleichen.«
    Der große Hund hatte bei Johannas Ruf kurz aufgeschaut, hatte dann aber seinen mächtigen Kopf in den Schoß des Mädchens gelegt und die Augen geschlossen.
    Der rundliche Herr lachte.
    »Ach, da ist er ja noch einmal, dieser veraltete Empörungsausruf. Ich muss schon sagen: Nicht sehr kultiviert, dieser Ruf-Terror, mit dem Sie gegen ihr öffentliches Vergessen anschrien.«
    »Und ich muss schon sagen«, sagte Johanna, »aus der Ferne auf der Uferpromenade machten auch Sie einen weitaus kultivierteren Eindruck.«
    Johanna bemerkte, dass er plötzlich sehr verlebt aussah und überdies stark geschminkt war.
    »Meine Erscheinungsform spielt hier keine Rolle«, sagte er, »da macht sich jeder während der Lektüre seinen eigenen inneren Film und soll das ja auch tun. Zudem: Man kann nur sehen, was man sehen kann. Verschwenden Sie nicht ihre nachlassende Kraft an solche Äußerlichkeiten. Sie sollten sich lieber fragen, ob Sie mich nicht dringend brauchen.«
    »Ich wüsste nicht, wofür«, aber Johanna klang jetzt etwas kläglich.
    Der rundliche geschminkte Herr ging nicht auf diese Absage

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