Nur wenn du mich hältst (German Edition)
hatte. Penelope hatte ihr erzählt, bei den Neuankömmlingen handele es sich um einen „netten jungen Mann und seinen Sohn“, die auf Empfehlung von Dino kamen. Nicht in ihren verrücktesten Momenten hätte sie sich vorgestellt, dass der nette junge Mann ein Profisportler war. „Nett“ und „Profisportler“ passten in ihrem Wortschatz nicht zusammen. Sicher, es gab wahrscheinlich viele nette Sportler da draußen, aber ihr schienen immer nur die anderen über den Weg zu laufen.
„Es fühlt sich an, als wäre das heute mein Glückstag“, sagte er. „Ich würde Ihnen gerne das vom Flughafen erklären …“
„Das vergessen wir am besten einfach“, unterbrach sie ihn. „Mr Crutcher …“ Sie fing seinen Blick auf. „Ich will Sie nicht belügen. Wenn ich etwas zu sage hätte, würde ich Sie bitten, sich einen anderen Platz zu suchen, aber das Haus gehört meiner Mutter, und aufgrund von Mr Carminuccis Empfehlung bietet sie Ihnen an, hier einzuziehen.“
Er schenkte ihr ein warmes Lächeln, als hätte sie ihn gerade mit offenen Armen empfangen.
„Wir werden gut miteinander auskommen“, sagte er. „Ich habe das Gefühl, ein Haus wie dieses ist genau das, was AJ jetzt braucht.“
Durch die offene Tür konnten sie den Jungen in der Rotunde sehen. Blasses Winterlicht flutete zu den längs unterteilten Fenstern herein. AJ schaute sich die Regale mit den viel gelesenen Büchern an, die Sammlung von Meerschaumpfeifen, das Schachspiel ihres Großvater – alle Figuren aufgestellt und bereit zur Schlacht. Das Flaschenschiff faszinierte jeden, der es sah. AJ behandelte die Objekte im Raum mit Respekt und Ehrfurcht. Das mochte daran liegen, dass er sich beobachtet wusste. Andererseits war er vielleicht – im Gegensatz zu seinem Vater – einfach nur ein wohlerzogener Junge.
Der ein Zuhause brauchte.
Mit einem Mal kam Kim sich kleinlich vor. „Warum hängen Sie nicht Ihren Mantel auf?“, lud sie Bo ein. „Dann führe ich Sie herum.“ Wie auf Autopilot ging sie in die Küche voran, die durch eine grün gebeizte Flügeltür mit dem Esszimmer verbunden war. „Frühstück und Abendbrot werden jeden Tag als Buffet serviert. Die Gäste bedienen sich selbst, gegessen wird im Speisezimmer. Also vorausgesetzt, Sie entscheiden sich, hierzubleiben.“ Bitte sag Nein, flehte sie; bitte sag, dass du dich nach etwas anderem umschauen willst.
„Das klingt gut“, sagte er.
AJ schaute sich in der Küche um. Wie alle Räume war auch sie in bunten Bonbonfarben gestrichen, und doch hatte sie ihren altmodischen Charakter beibehalten. Die Holzvertäfelung und die hohe Decke, die großen Geschirrschränke mit den Glastüren und die tiefe Spüle, wie man sie aus Bauernhäusern kennt. Es gab eine Kochinsel und einen langen Holztisch und vor den Fenstern Spitzengardinen.
„Dieses Haus gehörte meinen Großeltern“, sagte Kim an AJ gewandt, als eine plötzliche Welle an Erinnerungen über sie hereinbrach – die Geräusche und Gerüche vom Kochen und von lebhaften Unterhaltungen. „Wir haben früher immer Thanksgiving hier gefeiert.“ Sie sah ihre Großmutter vor sich in ihrer geblümten Schürze und mit den großen Ofenhandschuhen, wie sie das Festmahl an den Tisch brachte. Sie dachte an ihren Großvater, den Mann, der ihre Kindheit in Tage voller Magie verwandelt hatte, und an seine improvisierten Dankgebete vor dem Abendessen, die ein natürlicher Teil der Unterhaltung gewesen waren.
„Es ist ein sehr schönes Haus“, sagte AJ.
Kim zeigte ihnen das Fernsehzimmer, das neben einem Fernseher mit einer Stereoanlage und einem gut gefüllten Bücherregal ausgestattet war. Unvermittelt duzte sie ihn. „Es freut mich, dass es dir gefällt. Ich habe als Kind hier viele glückliche Stunden verbracht.“ Das war vor langer Zeit, als sie voller Hoffnungen und Träume gewesen war, doch das waren die Träume eines Mädchens, das nicht wusste, wer es war. Jetzt war sie wieder hier, Jahre später, und wusste es immer noch nicht. Oder nicht mehr. Es war ein wenig deprimierend, dass sie sich eine Karriere in Kalifornien aufgebaut und dann alles an einem Abend verloren hatte. Dank eines strengen Arbeitsvertrags würden ihre anderen Klienten bei der Agentur bleiben und nicht zu ihr kommen.
„Eure Zimmer sind im zweiten Stock“, sagte sie und ging zur Treppe voran.
Ihr schwirrten viele Fragen durch den Kopf, doch sie stellte sie nicht. Das Konzept eines Gästehauses oder einer Pension war kompliziert. Ihre Mutter nannte die
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