Nur wenn du mich hältst (German Edition)
wo wir … also da habe ich ihn abgeholt.“
„Davor hatten Sie ihn noch nie gesehen?“
„Das war die Entscheidung seiner Mutter, nicht meine. Nach AJs Geburt hat sie einen anderen Mann geheiratet, und der war der einzige Vater, den er kannte. Yolanda – seine Mutter – wollte nicht, dass ich zu Besuch komme und den Jungen womöglich verwirre.“ Seine Stimme war leise und voller Bedauern. „Ich hatte als Kind nie einen Dad, also hat es mich mächtig gestört, zu wissen, dass AJ auf der Welt war, ich ihn aber niemals sehen durfte. Ich habe den Wunsch seiner Mom jedoch respektiert und nie Kontakt zu ihm aufgenommen, bis sie mich letzten Freitag anrief und bat, mich eine Weile um ihn zu kümmern.“
Kim versuchte sich vorzustellen, was eine Frau dazu treiben könnte, ihr eigenes Kind zu einem Menschen zu schicken, den es gar nicht kannte. „Ist sie … geht es ihr gut? Wieso hat sie so plötzlich ihre Meinung über Sie und AJ geändert?“
„Das ist eine lange Geschichte. Ihr Mann hat sie verlassen, und sie hat Probleme mit der INS bekommen.“
„Mit der Einwanderungsbehörde?“
Er nickte und legte die Fingerspitzen zusammen. „Sie wurde in ein Untersuchungsgefängnis in Houston verfrachtet. Keine Vorwarnungen, nichts. Da unten gab es niemanden, der sich um AJ hätte kümmern können, weder Freunde noch Nachbarn. Yolanda ist ein Einzelkind. Nachdem ihr Vater gestorben war, zog ihre Mutter nach Nuevo Laredo zurück. Das liegt auf der mexikanischen Seite des Rio Grande.“
Kims Herz zog sich zusammen. „Sie meinen, seine Mom ist eines Tages zur Arbeit gegangen und durfte dann nicht mehr nach Hause?“ Unvorstellbar, wie das für den Jungen gewesen sein musste.
„Genau. Ich konnte nicht zulassen, dass er in ein Heim oder eine Pflegefamilie kommt. Eigentlich wohne ich in einer kleinen Wohnung über der Hilltop Tavern. Da ist es für ein Kind zu laut. Wir sind zu Ihnen gekommen, weil ich nach einem Ort suchte, an dem er sich mehr zu Hause fühlt. Und da sind wir nun.“
„An einem Ort, der sich nach einem Zuhause anfühlt“, sagte sie leise. Und zum ersten Mal verstand sie die Begeisterung ihrer Mutter für ihr neues Unternehmen.
„Richtig. Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte das Jugendamt sich um AJ gekümmert. Und glauben Sie mir, das ist ein echtes Vabanquespiel. Pflegeeltern können das Beste sein, was einem Kind passiert, es kann aber auch der schlimmste Albtraum sein.“
Ihr Gesichtsausdruck war anscheinend einfach zu lesen, denn er sagte: „Ja, da spreche ich aus eigener Erfahrung.“
Sie dachte zurück an ihre Kindheit, die sicher und vorhersagbar gewesen war. Trotz der finanziellen Fehlentscheidungen ihres Vaters hatte sie sich nicht ein einziges Mal Gedanken darüber machen müssen, verlassen zu werden. „Sie waren bei Pflegeeltern untergebracht?“
„Ein paar Mal sogar. Das erste Mal war wie aus einem Stephen-King-Roman. Danach hat mich ein Ehepaar zu sich genommen, und das war das Beste, was mir je passiert ist. Manchmal, wenn es meiner Mutter nicht so gut ging, durfte ich bei meinem Coach bleiben, einem Mann namens Landry Holmes. Als ich ein Kind war, hatten wir nicht viel, aber Coach Landry hat mir beigebracht, mich auf das zu konzentrieren, was wichtig ist.“
Kim war wider Willen fasziniert. Sie ertappte sich dabei, sich in die Rolle seiner PR-Beraterin hineinzudenken. Er hatte eine starke persönliche Geschichte. Ein wenig unschön, doch gerade das machte die Herausforderung aus. Seine sachliche Ehrlichkeit erinnerte sie an die Klienten, mit denen sie ihre Karriere begonnen hatte, bevor sie bei Kerlen wie Lloyd gelandet war. Diejenigen, die eine Chance verdient hatten, waren ihr wesentlich lieber als die, die glaubten, ein Anrecht darauf zu haben.
Der Idiot vom Flughafen verblasste immer mehr und wurde von einem lebenden, atmenden Menschen aus Fleisch und Blut ersetzt. AJs Situation ließ ihre eigenen Probleme im Vergleich mickrig aussehen. „Er ist doch noch ein Kind. Ich verstehe nicht, wie man ihn von seiner Mutter trennen konnte.“
„Das passiert anscheinend häufiger, als Sie oder ich glauben würden.“
„Was wollen Sie jetzt unternehmen?“
„Ich habe eine Anwältin darauf angesetzt. Sophie Bellamy-Shepherd. Kennen Sie sie?“
„Ich kenne den Namen Bellamy, aber nicht Sophie.“
„Sie ist mit einem Freund von mir verheiratet. Noah Shepherd. Sie hat bereits einen Spezialisten für Einwandererfragen gefunden, und sie haben auch schon verschiedene Dokumente
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