Nur wenn du mich hältst (German Edition)
Grinsen verschwand. „Äh, Dino …“
„Was für Neuigkeiten?“, fragte Mrs van Dorn.
Gute Frage, dachte AJ. „Was für Neuigkeiten?“, fragte auch er.
Bo legte seine Gabel hin und tupfte sich den Mund mit der Serviette ab. „Nun ja, ich wollte heute nach dem Abendessen mit dir darüber sprechen, AJ, aber nun hat Dino die Katze aus dem Sack gelassen.“
Welche Katze? Welcher Sack?
„Ich werde an einem speziellen Training für Anfänger teilnehmen.“
„Wo?“, fragte er misstrauisch.
„In Virginia. Es dauert nicht lange.“
AJ wurde innerlich zu Stein. Das war die einzige Möglichkeit, nicht in tausend Stücke zu zerspringen.
Daphne schien seine Stimmung aufzuschnappen. „Bist du ein Baseballfan?“
Er war diese Frage so leid. Jeder, den er bisher getroffen hatte, ging davon aus, er wäre nicht nur ein großer Fan, sondern würde auch selber spielen, und zwar gut, nur weil Bo Baseball spielte, was totaler Blödsinn war. Es gab kaum etwas, das ihm so egal war wie Baseball. „Sport interessiert mich nicht sonderlich“, sagte er deshalb geradeheraus.
„Was machst du dann gerne zum Spaß?“, wollte Bagwell wissen.
Die Frage schnitt tief. Nichts brachte Spaß. Wie konnte irgendetwas Spaß bringen, wenn die eigene Mutter in irgendeinem Gefängnis festgehalten wurde, als wäre sie eine internationale Kriminelle? AJ war versucht zu sagen, ich reiße Insekten die Beine aus, das finde ich ziemlich lustig, doch er hielt den Mund.
Das war das Problem. Er konnte niemandem die Schuld an der Situation geben. Nein, warte. Das konnte er doch. Er konnte Bo die Schuld geben. Wenn Bo Crutcher das Richtige getan und seine Mom geheiratet hätte, als er erfuhr, dass er sie geschwängert hatte, wäre sie jetzt legal im Land, und nichts von all dem wäre je passiert. Also war es einzig und allein Bos Schuld.
„Ich sehe, du bist Linkshänder wie dein Dad“, sagte Dino und strahlte ihn an.
AJ legte seine Gabel hin. „Ja, Sir.“
„Wie wäre es mit noch einem Brötchen?“ Kim hielt ihm den Brotkorb hin. Sie schien als Einzige zu spüren, wie sehr er diese Unterhaltung hasste.
„Danke.“ Er aß das Brötchen in Rekordzeit, dann fragte er: „Darf ich aufstehen?“ Bevor jemand Nein sagen konnte, legte er seine Serviette beiseite und verließ den Tisch. Auf dem Weg zu dem Raum, den Mrs V die Rotunde nannte, blinzelte er ein paar Mal schnell. Dies war seine Zuflucht – ein großes rundes Zimmer voller Bücher. Es gab eine Sitzecke und viele Fenster, vor denen Spitzengardinen hingen. Er warf sich in einen alten Ohrensessel und drückte sich die Fäuste auf die Augen.
Tu es nicht, warnte er sich. Nicht weinen, egal was du tust, aber nicht weinen . Indem er die Zähne zusammenbiss, schaffte er es, die Tränen zurückzudrängen. Wenn er seine Wut nur stark genug anfachte, würde die Hitze des Zorns die Tränen verdunsten lassen wie Wassertropfen in einer heißen Pfanne.
Niemand kam ihm hinterher. AJ wusste nicht, ob das bedeutete, dass Bo so feinfühlig war, um zu merken, dass er alleine sein wollte, oder ob er ihm einfach nur egal war. Vermutlich Letzteres. Er hatte sich zwölf Jahre nicht um ihn gekümmert und würde garantiert jetzt nicht auf einmal damit anfangen.
Er ging zu dem Laptop, den er jederzeit benutzen durfte, wie Bo gesagt hatte. Zu Hause hatte er nur selten Zugriff auf einen Computer gehabt. Die an der Schule waren ständig belagert, und in der öffentlichen Bücherhalle war er sich immer fehl am Platz vorgekommen. Den Mac ganz für sich zu haben war ziemlich cool. Er las Artikel über Immigration und fand ein Dutzend Agenturen, die behaupteten, helfen zu können. Die meisten saßen in New York City, was nur eine Zugfahrt entfernt lag. Er forschte nach dem Zugfahrplan, doch dann hörte er Bo kommen und schloss schnell den Browser. Er nahm sich ein dickes Buch, griechische Mythologie, und tat so, als hätte er gelesen.
„Hey“, sagte Bo.
„Hey.“ AJ schaute nicht auf. Er konzentrierte sich auf eine Geschichte über einen Typen namens Kronos, der seinen Vater so sehr um dessen Kräfte beneidete, dass er ihn mit einer Sichel kastrierte. Er fand das total gruselig, doch so waren die griechischen Sagen nun einmal.
AJ wusste nicht, wie es war, einen echten Dad zu haben. Bruno hatte ihm nie sonderlich viel Aufmerksamkeit geschenkt, und Bo war ein Fremder.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Bo.
Er hielt den Blick immer noch gesenkt und zuckte nur mit den Schultern. Die Nummer mit der
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