OASIS - Die Entdeckung (German Edition)
modischen hellblauen Designerbrille, war in der Zw i schenzeit aus seinem Drehsessel aufgestanden und um den Schreibtisch herum gegangen. Sein Gesicht war völlig en t spannt. Die linke Hand in der Hosentasche vergraben an t wortete er : „Und genau darum geht es, Miss Cr a mer. Das kapiert jedes Kind. Das wollen die Leser, weil das j e der versteht. Beim Global geht es auch um Verkaufszahlen. Wir stehen in Ko n kurrenz zu den anderen Blättern in New York. Wir sind die zweitgrößte Ze i tung des Landes und ich will sie auf Platz eins bringen. Das heißt, wir müssen mehr Leser erreichen.“ Und zum Fenster gewandt, fügte er leise und sehnsucht s voll hinzu: „Am liebsten alle.“
„Warum haben sie das gemacht?“ , fragte Nancy noch einmal mit Nachdruck. „Ich habe so viel Zeit für den Sol a ris-Skandal geopfert. Ich dachte, sie hätten verstanden, w o rum es da geht.“
„Das habe ich auch“, entgegnete der Chefradakteur. „Und deshalb ist die Geschichte auch gut im Wirtschaftsteil aufgehoben. Was ist denn passiert? Eigen t lich gar nichts. Es gibt keinen Skandal. Die Bauern werden nicht übers Ohr gehauen. Das Solarunterne h men hat sich zurückgezogen. Und mal ganz eh r lich … “ Er machte eine Pause, drehte sich um und schaute ihr tief in die Augen, bevor er sagte: „Die Fotos von den Wi s senschaftlern waren etwas brav.“
Nancy verdrehte die Augen, wollte etwas erwidern, aber Coleman unterbrach sie: „Und sie bekommen ihr volles H o norar. Ich hätte die Geschichte auch ganz rausnehmen kö n nen.“
„Soll das eine Drohung sein?“ , fragte Nancy Cramer u n gläubig.
„Nein, es zeigt, dass ich I hre Arbeit sehr schätze und ich weiß, dass s ie gute Arbeit leisten. Aber im Moment habe ich den Eindruck, dass s ie nicht immer richtig bei der Sache sind. Ich habe s ie deswegen schon erwartet und will i hnen vorschlagen ein paar Tage auszuspa n nen.“ Er fasste sie an beide Schultern und sagte fast väterlich: „Nancy, s ie b e kommen i hre Chance noch. Sonst wären s i e nicht in me i nem Team. Seien s ie nicht so verbissen. Fahren s ie irgen d wo hin, wo es schön ist. Florida, Mexiko, in die Karibik. Wenn es eine schöne G e schichte gibt, bringen s ie sie mit. Aber bitte nicht verkrampfen.“ Er lächelte sie milde an. „Montag in zwei Wochen e r scheinen s ie pünktlich zum Dienst, egal ob mit oder ohne Geschichte. Halten s ie das, wie s ie wo l len.“
Nancy war nicht wirklich klar, ob sie das alles richtig verstanden hatte. Sie schaute ihren Chef an. Im letzten M o nat hatte er seinen 54. Geburtstag gefeiert. Sie wusste, auch er war noch nicht am Ziel seiner Träume. An diesem G e burtstag s abend vertraute er ihr an, dass er manchmal glaubt, es nicht mehr bis an die Spitze zu schaffen. Sie hatte g e dacht, dass er sie deswegen verstehen und ihr endlich die Seite eins geben würde. Im Moment hatte sie eher das G e fühl, das er sie aus dem Ve r kehr ziehen will.
„Sie wollen also, dass ich Urlaub nehme?“ , fragte sie to n los zurück.
„Ja“, antwortete er. „Sie brauchen etwas Abstand von ihren Träumen. Dann sehen wir weiter. Auße r dem kenne ich s ie gut genug. Da wo s ie sind, wird schon etwas passieren.“ Er lachte und fügte hinzu: „Einen schönen U r laub.“
Das Gespräch schien damit für Peter Coleman beendet. Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, sah noch ei n mal hoch: „Ist noch etwas?“
Nancy war sich nicht sicher . „Sie glauben also an mich?“
„Ja, habe ich doch gesagt. Eine gute Journalistin wird man auch, indem man gute Geschichten erkennt . Sie haben das Talent dazu. Aber bis jetzt ist i hnen nur noch nichts Spektakuläres über den Weg gelaufen. Bleiben s ie dran. Aber nich t verbeißen.“
Sie lächelte und sagte: „Entschuldigung, dass ich hier so reingeplatzt bin.“
Macht nichts“, erwiderte Coleman. „Ich hatte es ja erwa r tet.“
„Bis in zwei Wochen“, verabschiedete sie sich und ging aus der Tür. Ihr Ärger war noch nicht ganz ve r flogen. Sie hatte so an die Geschichte geglaubt. Das Wohl des kleinen Mannes war ihr bei ihrer Arbeit immer wichtig gew e sen. Was hatte sie nur übersehen?
Nancy war wieder am Schreibtisch von Betty Smith a n gekommen. Die schaute sie an: „Nicht traurig sein“, ve r suchte sie zu trösten. „Er sieht die Zeitung als Ga n zes. Er ist ebenso ehrgeizig wie s ie und lässt s ich auch nicht von se i nem Weg abbringen. Deshalb mag er s ie.“
„Na, wenn das so ist“, erwiderte Nancy
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