Oben ohne
Ziele abgesteckt. Macht ihr mal alle: Hauptsache, ich komme durch! Für alle Fälle habe ich mein Handy eingepackt: Falls ich doch aussteigen muss, kann ich so Tino Bescheid geben. Eigentlich will er mich von hinten aufrollen. Er ist sowieso ein Schnellstarter, wohingegen ich eher der Diesel bin. Und dann fahren wir etwas zusammen, wenn unsere Tagesformen nicht zu unterschiedlich sind. Aber falls wir uns verpassen sollten, was bei mehreren Tausend Sportlern auf der Strecke schon passieren kann, haben wir die Handys dabei.
Endlich, der Countdown wird runtergezählt. Wie immer schallt in den letzten Minuten ACDCs »Highway to Hell« aus den Lautsprechern im Startbereich. Da ist es, das absolut unbeschreibliche Gefühl, eine wilde Mischung aus Euphorie, Nervosität und Angst. Peng, der Startschuss fällt, Applaus brandet durch die Fußgängerzone der Kleinstadt, durch die sich die sechzehn Startblöcke wie ein gigantischer Tausendfüßler schlängeln. Block eins ist weg. Vor uns liegen 116 Kilometer. Noch mehr Adrenalin! Um mich rum fängt es überall an zu Klicken: Alle steigen schon mal in die Pedale und geben dabei diese Klickgeräusche von sich. Wir stehen Schulter an Schulter, fast unglaublich, dass man aus einem solchen Gedrängel tatsächlich vernünftig starten kann. Jetzt gibt es erst mal kein Zurück mehr: Wir sind dran! Der Startblock zwei braust davon, und ich bin mittendrin. Unsere grobstolligen MTB-Reifen surren über den Asphalt, während uns Hunderte Zuschauer anfeuern. Ein Schauer läuft mir den Rücken herunter. Um mich herum versuchen etliche Fahrer, ihre Ausgangsposition vor dem ersten Anstieg zu verbessern. Rechts und links ziehen sie an mir vorbei. Ich suche mir erst mal einen Windschatten. Nicht gleich am Anfang überzocken! Der Puls ist durch das ganze Adrenalin eh zu hoch. Wir fahren auf Asphalt zunächst nur ganz leicht ansteigend. Genau das Richtige, um ein bisschen Nervosität abzubauen. Ich fühle mich richtig gut. Wer hätte gedacht, dass ich dieses Jahr tatsächlich dabei sein kann? Genial!
Wir erreichen den ersten Schotterabschnitt und rauschen mit vollem Tempo hinein. Ich kenne den Weg, da kann nichts passieren. Nach einem kurzen hügeligen Stück kommt der erste lange Anstieg, knapp tausend Höhenmeter sind zu überwinden. Die Stimmung im Fahrerfeld hat sich deutlich beruhigt, jetzt heißt es konstant treten und dabei essen und trinken nicht vergessen. Alles läuft bestens, ich fühle mich super und bin sofort in einer Art Flow. Mein Handy meldet eine SMS. Nanu, wer will sonntagsmorgens um die Zeit etwas von mir? Egal, wahrscheinlich eine Info vom Netzbetreiber. Oft meldet sich hier in der Grenzregion auch das französische Netz. Egal, das Handy bleibt jetzt stecken.
Wir erreichen Hinterzarten mit der ersten Verpflegungsstelle. In der Abfahrt ist Tino zu mir aufgefahren. Wir bremsen nur etwas ab und lassen uns von den freiwilligen Helfern Riegel reichen. Ich stopfe einen Teil in die Trikottasche, und weiter geht’s. Zu Trinken habe ich im Moment noch genug. Der Schwarzwald zeigt sich heute von seiner schönsten Seite. Saftige grüne Wiesen mit Kühen und dunkle Tannenwälder unter einer strahlenden Sommersonne, teilweise leuchtet sogar die Alpenkette hinter den Hügeln auf – und ich mittendrin mit richtig viel Power! Eine rasante Abfahrt durch einen schattigen Wald, und wir biegen auf den Uferweg des Titisees. Es geht heute alles wie im Flug. Mitten auf dem hügeligen Seerundweg klingelt das Handy. Dazu habe ich es eigentlich nicht mitgenommen. Wir rauschen gerade mit hohem Tempo in den nächsten Singletrail. Ich gehe jetzt selbstverständlich nicht ran. Was wichtig ist, kommt wieder. Bald verliere ich Tino in einer Abfahrt aus den Augen, hier ist er einfach schneller. Egal, die nächsten Stunden vergehen wie im Flug: tolle Blicke, perfektes Wetter, gute Beine. Jippie.
Kurz vor Todtnau, bei Kilometer siebzig: wieder das Handy. In der Schwarzwaldgemeinde wartet eine weitere Verpflegungsstelle. Ich überlege kurz, ob ich einen Blick auf das Telefon werfen soll. Irgendetwas hält mich davon ab. Ich greife kurz nach Riegeln und Bananen und nehme den letzten langen Anstieg in Angriff. Direkt aus Todtnau raus wird es gleich richtig steil. Der Anstieg liegt an einem Südhang, die Mittagssonne brennt hier voll rein. Es geht erst durch ein Wohngebiet, und kleine Kinder reichen uns Schwämme mit kaltem Wasser. Einige Anwohner haben sogar einen Wasserschlauch so installiert, dass man
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