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Oberst Chabert (German Edition)

Oberst Chabert (German Edition)

Titel: Oberst Chabert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Grünfutter beladenen Karren geklettert und warf von dort Steine in den Rauchfang eines benachbarten Hauses, in der Hoffnung, sie würden in den Suppentopf fallen. Der andere gab sich Mühe, ein Schwein wie über eine Treppe einen Karren heraufzuführen, der an die Erde gesenkt dastand, während der dritte, auf der andern Seite des Wagens hängend, nur darauf lauerte, daß das Schwein endlich oben stünde, um dann mit ihm Wippe zu spielen. Als Derville fragte, ob hier Herr Chabert wohne, mochte keiner antworten, sondern sie glotzten ihn alle blöden Geistes an, wenn man die Worte blöd und Geist verknüpfen darf. Er wurde wütend über das höhnisch foppende Wesen der drei Lausejungen, und konnte es, wie viel Erwachsene es Kindern gegenüber tun, nicht unterlassen, sich in einen Schwall halb wütender, halb gutmütiger Schmähworte zu ergießen, und sofort begannen die Jungen mit einem plumpen Lachen wiehernd zu antworten. Derville wurde böse. Der Oberst hörte dies und kam in Eile aus einer kleinen Stube, die neben der Milchkammer gelegen war; nun trat er auf die Schwelle des niedrigen Zimmers mit seiner ganzen, unerschütterlichen soldatischen Ruhe. Er hatte zwischen den Zähnen eine »fein angerauchte« Pfeife (die Raucher werden mich verstehen), eine gemeine weiße Tonpfeife, die man Nasenwärmer oder Gurgelkratzer nennt. Er hob den Schirm einer unglaublich schmierigen Mütze, erblickte Derville und watete schnell durch die Mistpfütze, denn er wollte möglichst rasch seinen Wohltäter begrüßen. Mit freundlich kameradschaftlichem Ton rief er den Jungen zu: »Habt acht!« Die Kinder schwiegen sofort still und bezeugten so achtungsvoll den Respekt, den ihnen der alte Soldat einexerziert hatte.
    »Aber warum haben Sie mir nicht geschrieben?« sagte der Alte zu Derville. »Bitte, gehen Sie den Kuhstall entlang. Nein, hier, da ist der Weg gepflastert«, rief er, da er sah, wie der Anwalt sich angesichts seiner reinen Schuhe und der Mistpfütze nicht recht entscheiden konnte. Der Anwalt sprang von Stein zu Stein und kam endlich zu der Tür, über deren Schwelle der Oberst getreten. Freilich schien Chabert in schrecklicher Verlegenheit, den Anwalt in dem Zimmer zu empfangen, das er bewohnte. Beim besten Willen konnte Derville nur einen einzigen Stuhl in der Stube entdecken. Das Lager des Obersten bestand aus einigen Bündeln Stroh, auf welche die Wirtin zwei oder drei Fetzen ausgebreitet hatte, Reste ehemaliger Teppiche, wie sie die Milchhändler gern zum Austapezieren und Polstern der Sitze in den Karren verwenden. Der Estrich war nichts anderes als gestampfter Lehm. Die Wände waren voll Salpeter, zeigten Sprünge und Risse, und von ihnen ging ein so feuchter Schwaden aus, daß man die Mauer, an der der Oberst schlief, noch mit einer Matte aus Schilf hatte decken müssen. Der berühmte verfilzte militärische Reitrock hing an einem Nagel an der Wand. Zwei schäbige Stiefelpaare lehnten in einem Winkel. Nirgends gewahrte man eine Spur frischer Wäsche. Auf der wurmstichigen Tischplatte lagen die Bulletins de la grande armée, im Neudruck von Plancher. Sie waren in der Mitte aufgeschlagen, schienen die einzige Lektüre des Obersten zu sein. Sein Gesicht strahlte heiter und ruhig mitten im Elend. Sein Besuch bei Derville hatte, so schien es, seine Gesichtszüge verändert, der Anwalt fand sie gemildert, von innerer Leuchtkraft erhellt, wie sie jede Hoffnung verleiht.
    »Stört Sie der Rauch meiner Pfeife?« fragte er, und schob dem Anwalt einen Sessel hin, dessen Strohgeflecht halb in Fransen ging.
    »Aber, Oberst, wie hausen Sie hier!« Diese Worte waren Derville durch das Mißtrauen entrissen, das eine Berufskrankheit aller Anwälte ist, wohl auch ein Effekt der furchtbaren Erfahrungen, der grauenhaften Dramen, die sie aus der Nähe sehen müssen und denen sie sich nicht entziehen können. »Sieh mal,« dachte er, »wo ist mein Geld geblieben? Hat er es nicht dazu verwandt, den drei Todsünden des Militärs zu fröhnen, als da sind: Wein, Spiel und Weiberfleisch?«
    »Es ist nicht zu leugnen, lieber Herr, durch Luxus zeichnen wir uns hier nicht eben aus. Es ist ein feldmäßiger Unterstand, verschönt durch Freundschaft. Aber ...« und hier warf der Oberst dem Rechtsmenschen einen tiefen Blick zu, »keinem habe ich Böses getan, ich habe nie einen Menschen zurückgestoßen, kann ruhig schlafen.«
    Der Anwalt dachte, es wäre kein Zeichen von Zartgefühl, den Oberst zu fragen, was er mit dem Gelde begonnen, das er

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