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Oberst Chabert (German Edition)

Oberst Chabert (German Edition)

Titel: Oberst Chabert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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schon ihre Schwierigkeiten und Härten haben. Sie würden alt und grau werden und Kummer und Sorge würden Ihnen nicht erspart bleiben.«
    »Und mein Vermögen?«
    »Glauben Sie an ein großes Vermögen?«
    »Hatte ich nicht dreißigtausend Franken jährliche Rente?«
    »Mein lieber Oberst, Sie haben vor Ihrer Vermählung, im Jahre 1799 ein Testament gemacht, das ein Viertel den Waisenhäusern zusprach.«
    »Das ist wahr.«
    »Nun sehen Sie doch! Man glaubte Sie tot, man mußte ein Inventar aufnehmen, eine Liquidation durchführen, damit die Waisenhäuser zu ihrem Gelde kämen. Mußte. Aber Ihre Frau hat sich keine Gewissensbisse gemacht, die Armen um das Geld zu bringen. Es gibt ein Inventar: Aber dabei hat man zweifelsohne des baren Geldes keine Erwähnung getan, ebensowenig des Schmuckes. Mit minimalen Summen hat man das Silberzeug angesetzt. Die Einrichtung hat man um ein Drittel niedriger bewertet, sei es, um Ihrer Frau einen Gefallen zu tun, sei es, um die Erbschaftssteuer zu erniedrigen, vielleicht auch deshalb, weil die Schätzkommissare persönlich für die Schätzungssumme haften. So hat man schließlich eine Vermögensaufnahme zustande gebracht, die keinen höheren Geldwert als sechshunderttausend Franken repräsentierte. Ihrerseits besaß die Witwe den Anspruch auf die Hälfte. Man hat alles verkauft und sie hat alles unverzüglich auf eigene Rechnung zurückgekauft, sie hat den Rahm von allem abgeschöpft. Den Waisenhäusern verblieben nur fünfundsiebizgtausend Franken. Nun erbte außerdem, wohlgemerkt, da Sie Ihrer Frau in dem Testament keine Erwähnung tun, der Staat einen Teil und auf diesen Teil, der dem Fiskus zukommt, hat der Kaiser durch ein Dekret zugunsten Ihrer Witwe verzichtet. Wie hoch beliefe sich nun Ihr Anspruch? Nur auf dreißigtausend Franken. Und davon sind die Unkosten abzuziehen.«
    »Und das heißt bei Euch Gerechtigkeit?« sagte der Oberst ganz entgeistert.
    »Aber, sicherlich ... freilich ...«
    »Nun, eine nette Sache!«
    »Sie ist wie sie ist, mein armer Oberst. Sie sehen, so leicht, wie Sie sichs dachten, ist die Angelegenheit nicht. Frau Gräfin kann sogar den Teil behalten, der ihr aus der Hand des Kaisers zugekommen ist.«
    »Aber sie ist keine Witwe. Das Dekret ist ungültig ...«
    »Zugegeben. Aber streiten und Prozesse führen kann man um alles. Hören Sie mich an, bitte! Wie die Dinge heute liegen, wäre ein Vergleich, sowohl für Sie wie für die Gräfin, die weitaus beste Lösung. Sie würden eine Summe gewinnen können, die Ihren gesetzlichen Anspruch weit übertrifft.«
    »Ich soll also meine Frau verkaufen?«
    »Wenn Sie erst achtzigtausend Franken Rente besitzen, finden Sie in Ihrer Lage tausend Frauen, die besser zu Ihnen passen und die Sie vor allem tausendmal glücklicher machen würden. Ich habe vor, noch heute die Gräfin aufzusuchen, ich will das Terrain sondieren. Aber ich wollte erst Sie verständigen, bevor ich den Schritt unternehme.«
    »Wir wollen beide hin zu ihr ...«
    »Jetzt? Wie Sie gehen und stehen? Nein, liebster Herr Oberst, nein und nochmals nein. Sie könnten mit einem Schlage Ihren Prozeß verlieren ...«
    »Kann ich ihn gewinnen?«
    »In allen Stücken«, antwortete Derville. »Aber mein teurer Oberst Chabert, Sie vergessen eines: Ich bin nicht reich, meine Praxis ist nicht vollständig abgelöst. Sollen nun die Gerichte Ihnen eine vorläufige Zahlung zugestehen, das heißt einen Vorschuß auf Ihr künftiges Vermögen, so kann das erst dann sein, wenn die Behörden sagen: Ja, Sie sind der Oberst Chabert und Großritter der Legion d'honneur.«
    »Ach ja, ich bin Großritter der Legion, ich dachte nicht mehr daran«, sagte der Oberst naiv.
    »Aber bis dahin? Muß man nicht«, sagte Derville, »Prozeß führen, das heißt, Anwälte bezahlen, Erkenntnisse anfordern und bezahlen, Gerichtsvollzieher in Bewegung setzen, zahlen und dann doch auch selbst leben? Die Kosten des vorläufigen Instanzenwegs beliefen sich, von heute auf morgen, auf zwölf- bis dreizehntausend Franken. Ich habe sie nicht. Ich habe genug zu keuchen unter der Last der Zinsen, die ich dem Mann schuldig bin, der mir das Geld für meine Praxis geliehen hat. Und das sind enorme Beträge. Und Sie, haben Sie diese Summe?«
    Große Tränen rannen aus den verwitterten Augen des armen Soldaten und glitten über seine faltigen Wangen hinab. Angesichts solcher Schwierigkeiten verlor er allen Mut. Wie ein böser Alb lastete das Gespenst dieser Welt, dieser Gesellschaft und dieser

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