Oberst Chabert (German Edition)
Gerichte auf ihm.
»So will ich,« schrie er, »will zum Sockel der Vendômesäule hintreten, dort laut rufen: Ich bin's, der Oberst Chabert, der das große Karré der Russen bei Eylau gesprengt hat. Die Gestalt aus Erz, sie wird mich wiedererkennen.«
»Und ohne Zweifel wird man Sie ins Irrenhaus stecken.«
Bei dieser gefürchteten Anspielung sank der Mut des Offiziers.
»Und nicht die geringste günstige Möglichkeit im Kriegsministerium?«
»Ach, die Bureaus,« sagte Derville, »sprechen Sie dort vor, aber nicht ohne ein rechtsgültiges Protokoll, das Ihre Todeserklärung für null und nichtig erklärt. Die Bureaus wollten am liebsten alle Leute des Kaiserreichs unter die Erde bringen.«
Starr, unbeweglich, seelenlosen Blicks, in grenzenlose Verzweiflung versunken, so stand der Oberst da. Das Militärrecht, kurz und bündig, entscheidet mit ja und nein, schuldig oder unschuldig und es entscheidet fast immer richtig. Es war das einzige Recht, das Chabert kannte. Jetzt sah er den Schlangenknoten von Schwierigkeiten, der zu entwirren war, nun begriff er, wieviel Geld man brauchte, um ihrer Herr zu werden, und nun erhielt der arme Soldat eine tödliche Wunde dort, wo die Männlichkeit des Mannes sitzt, im Willen. Es schien ihm unmöglich, ewig in Prozessen zu leben, tausendmal einfacher war es für ihn, arm zu bleiben, sich als einfacher Kavallerist in einem Regiment einstellen zu lassen, wenn man ihn annehmen wollte. Seine seelischen und körperlichen Leiden hatten seinen Organismus in den lebenswichtigsten Teilen und Organen lange schon zermürbt. Er streifte eine Krankheit, für die die Medizin noch keinen Namen hat, deren Sitz wie der Nervenapparat wandert und wechselt, ein Leiden, das man Seelenlähmung des Unglücks nennen könnte. Dieses Leiden war schwer, aber noch war's unsichtbar, noch konnte es ein glücklicher Augenblick heilen. Er war wie aus Eisen. Sollte sein Organismus ganz zugrunde gerichtet werden, bedurfte es nur eines neuen Hindernisses. Das mußte die geschwächten Kräfte vollends zerstören, das Herz mußte zum Stocken, zum Zittern und Flattern gebracht werden. Er war nicht der erste, der durch Kummer getötet wurde.
Dem Anwalt konnten die Zeichen tiefster Bedrückung nicht entgehen.
»Mut, Mut,« sagte er, »schließlich muß sich alles zum Guten wenden. Nur eins bedenken Sie. Können Sie sich mir ganz anvertrauen, ganz? Können Sie blind das Resultat annehmen, das ich selbst für das beste halte?«
»Tun Sie, was Sie wollen!«
»Ja, aber Sie geben sich in meinen Willen, wie ein Mensch, der in den Tod geht.«
»Muß ich denn nicht auf Stand, Namen verzichten? Erträgt das ein Mensch?«
»Ich sehe es nicht so«, sagte der Anwalt. »Wir wollen in aller Güte einen Vergleich anstreben, um Ihre Todeserklärung und Ihren Heiratskontrakt beide ungültig zu erklären, damit Sie zu Ihrem Recht kommen. Sie werden selbst, dank dem Einfluß des Grafen Ferraud, in den Listen der Armee zum General avancieren und zweifellos eine Pension erhalten.«
»Dann nur zu!« sagte Chabert. »Sie haben mein Vertrauen ganz.«
»Ich sende Ihnen also eine Vollmacht zur Unterschrift«, sagte Derville. »Leben Sie wohl. Mut, nur Mut! Wenn Sie Geld brauchen, wenden Sie sich an mich!«
Chabert ergriff warm die Hand des Anwalts, dann blieb er stehen, den Rücken an die Mauer gelehnt, er hatte nicht mehr die Kraft, ihm anders als mit dem Auge zu folgen.
Wie alle Leute, die das Gerichtsverfahren nicht kennen, war er vor dem drohenden Kampfe erschrocken. Nun war während dieser Unterredung zu wiederholten Malen hinter dem Eckpfeiler der Toreinfahrt die Gestalt eines Mannes sichtbar geworden, der auf der Straße stand, um den Schluß der Unterredung abzupassen, und die sich sofort an Derville heranmachte, als er ging. Es war ein alter Mann in blauem Kittel, einer weißen bauschigen Leinenhose, wie sie die Brauergesellen tragen. Auf dem Kopf trug er eine Mütze aus Otterfell. Sein Gesicht war braun, voller Falten und Runzeln, aber es zeigte eine gesunde Röte auf den Backen, Zeichen schwerer Arbeit und Ergebnis der Einwirkung der frischen Luft.
»Verzeihung, mein Herr,« sagte er zu Derville und hielt ihn am Arme fest, »ich möchte mir die Freiheit nehmen, Sie um ein Wort zu bitten. Denn als ich Sie mit unserem General sprechen sah, habe ich mir gedacht, vielleicht sind Sie sein Freund.«
»So, so?« sagte Derville, »weshalb interessiert Sie das? Und wer sind Sie?« setzte er mißtrauisch hinzu. »Ich? Louis
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