Oberst Chabert (German Edition)
Raumes, der für die einen ein Treffpunkt, für die anderen ein Durchgangsraum, für den Anwalt sein Laboratorium ist. Das schmutzige Mobiliar vererbt sich von einem Anwalt zum anderen mit solcher Gewissenhaftigkeit, daß viele Bureaus noch Fächer und Tischladen mit Aufschriften besitzen, die auf eine längst überholte Art der Rechtsprechung hindeuten. Nun, dieses geräumige, staubbedeckte, düstere Bureau hatte, wie alle seiner Art, irgend etwas, das die Parteien anwiderte, und das ihm den Stempel einer ekelhaften Scheußlichkeit aufdrückte. Wenn freilich die feuchten, dunklen Sakristeien, wo die Gebete wie Pfeffer oder Zucker zugewogen und nach Gewicht bezahlt werden, nicht auf der Welt wären und ebensowenig die Magazine der Trödler, wo Lumpen und Fetzen sich umhertreiben als die Symbole der Erbärmlichkeit alles Lebens im allgemeinen und unserer Illusionen im besonderen – wenn diese zwei Schmutzwinkel der Poesie nicht geschaffen wären, dann bliebe die Schreibstube eines Anwalts das scheußlichste aller Gemächer, wo Menschen zusammenkommen. Aber sind denn die Spielhöllen, die Säle in den Gerichten, die Kabinettlein der öffentlichen Häuser oder die Lotteriebureaus etwas Besseres? Nein, es ist das gleiche. Und warum? Vielleicht deshalb, weil hier das Drama der menschlichen Seele sich in ihrem Innern abspielt. Was kann dann der umgebende Raum viel bedeuten? Ebensowenig, wie er einem großen Denker oder einem Ehrgeizigen von Rang nicht das mindeste bedeuten kann. So erklärt sich die Einfachheit solcher Menschen in äußeren Dingen.
»Wo ist mein Federmesser?«
»Ich bin gerade bei meinem Frühstück.«
»Du kannst dich aufhängen. Was soll ich mit meinem Tintenfleck auf der Bittschrift beginnen?«
»Still, meine Herren!«
Diese Ausrufe brachen im selben Augenblick los, als der alte Klient die Türe schloß. Er tat es so demütig, daß seine Bewegung unnatürlich wurde. So sind die Unglücklichen. Der Unbekannte versuchte ein Lächeln, aber seine Gesichtsmuskeln erschlafften, als er auf den blitzend unverschämten Gesichtern der sechs Angestellten vergeblich auch nur nach einem Schimmer von Freundlichkeit suchte. Er war es offenbar gewohnt, Menschen einzuschätzen, denn er wandte sich sehr höflich an den Hans Dampf in allen Gassen, in der Hoffnung, der Knirps würde ihm höflich antworten.
»Bitte, kann ich den Herrn Chef sprechen?«
Der boshafte Laufbursche antwortete dem armen Mann nicht, sondern tippte nur mit den Fingern der linken Hand gegen sein Ohr, wie um zu sagen: »ich bin taub. Leider.«
»Was wünschen Sie, mein Herr?« fragte Godeschal, nicht ohne einen Bissen Brot hinunterzuschlingen, groß genug, eine Vierpfünderkanone damit zu laden. Dann schwenkte er sein Taschenmesser hin und her, kreuzte die Beine und hob dabei den freien Fuß bis zu Gesichtshöhe empor.
»Mein Herr, ich bin heute zum fünften Male hier,« sagte der arme Kerl, »ich möchte Herrn Derville sprechen.«
»Geschäftlich?«
»Ja. Aber ich kann die Angelegenheit nur dem Chef auseinandersetzen ...«
»Der Chef schläft. Wenn Sie ihn in einer schwierigen Angelegenheit zu Rate ziehen wollen ... er arbeitet richtig so erst gegen Mitternacht. Aber wenn Sie uns Ihre Angelegenheit vortragen wollen, können wir ebensogut wie er ...«
Der Unbekannte stand unbeweglich da. Scheu blickte er um sich wie ein Hund, der sich in eine fremde Küche eingeschlichen hat, und Angst hat, man könnte ihn prügeln.
Es ist eine Wohltat ihres Berufes, daß Anwaltsangestellte nie Angst vor Dieben haben. So ließen sie denn auch den Militärfilz, von jedem Verdacht unbehelligt, die Räumlichkeit studieren, wo er vergebens nach einem Stuhl Umschau hielt.
Aber die Anwälte haben ihr System, das ihnen zu möglichst wenig Stühlen in ihren Bureaus rät. Der gewöhnliche Klient, müde des Wartens, aufrecht auf seinen lahmen Beinen, macht sich davon, zwar unter Schimpfen und Schelten, aber er nimmt wenigstens nicht die Zeit in Anspruch, deren Preis und Wert, nach den Worten eines alten Prokurators, in keiner Kostenrechnung gebührend in Anschlag zu bringen ist.
»Ich hatte bereits die Ehre,« sagte der Unbekannte, »Sie davon in Kenntnis zu setzen, daß ich meine Angelegenheit ausschließlich Herrn Derville vorlegen kann. Ich will daher warten, bis er sich erhebt.«
Boucard hatte endlich seinen Kostenvoranschlag beendet. Der Duft seiner Schokolade stieg ihm in die Nase, nun verließ er seinen Rohrstuhl, kam zum Kamin, maß den alten Mann von
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