Oberst Chabert (German Edition)
die ich gerade unter dem Helme trug, in Splitter schlägt. Diese Wunde öffnet mir den Schädel breit. Ich stürze vom Pferde. Murat eilt mir zu Hilfe, er sprengt über meinen Leib, er und seine Leute, fünfzehnhundert Mann. Mehr waren's nicht. Mein Tod wird dem Kaiser gemeldet, der klug, wie er war (und er liebte mich auch ein wenig, unser Herr und Meister), wissen wollte, ob es denn keine Möglichkeit gäbe, den Mann zu retten, dem er diesen machtvollen Reiterangriff verdankte. Um mich aufzufinden und zum Verbandsplatz zu bringen, entsandte er zwei Chirurgen, denen er, vielleicht so nebenhin, denn er war mitten in seiner Arbeit, gesagt haben mochte: ›Seht doch nach, ob nicht zufällig mein armer Chabert doch noch lebt!‹ Die zwei jungen Dächse, die mich eben von den Hufen zweier ganzer Regimenter überritten gesehen hatten, glaubten es mir wahrscheinlich nicht schuldig zu sein, meinen Puls zu fühlen, und sie sagten, ich sei tot. Das Protokoll über mein Hinscheiden wurde demnach in allen Regeln festgesetzt, wie sie das Militärrecht vorschreibt.
Als der junge Advokat hörte, daß sein Klient sich mit außerordentlicher Klarheit ausdrückte und daß seine Erzählung, so sonderbar sie klang, doch einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht entbehrte, ließ er seine Aktenhefte sein, stützte seinen linken Arm auf den Tisch, sein Gesicht auf seine Hand und sah den Klienten festen Blickes an.
»Wissen Sie, mein Herr,« unterbrach er den Alten, »daß ich der Anwalt der Gräfin Ferraud bin, der Witwe des Obersten Chabert?«
»Meiner Frau? Gewiß. Denn ich habe gerade Sie aufgesucht, nach tausend nutzlosen Wegen und Gesuchen bei Juristen, die mich für einen Irrsinnigen erklärt haben. Mein Unglück erzähle ich Ihnen im folgenden. Lassen Sie mich vor allem die Tatsachen feststellen, Ihnen klarlegen, wie alles möglich war, was wirklich geschah. Einige Details, die nur unser Vater im Himmel wissen kann, kann ich nur erzählen, wie sie wahrscheinlich vor sich gegangen sind. Offenbar haben meine Wunden zu einem Starrkrampf geführt, und mich so in eine Verfassung gebracht, die man, wie ich glaube, Dämmerzustand nennt. Wie anders könnte ich's sonst erklären, daß man mich, nachdem man mich nach altem Kriegsbrauch vom Kopf bis zum Fuß ausgeplündert, in die Totengrube für die Mannschaft warf? Hier möchte ich mit Ihrer Erlaubnis eine Einzelheit erwähnen, die ich erst nach dem Ereignis erfahren habe, das man füglich meinen Tod nennen kann. Ich habe im Jahre 1814 in Stuttgart einen alten Wachtmeister meines Regimentes getroffen. Dieser liebe Mann, der einzige, der mich wiedererkennen wollte und von dem ich dann gern noch weiteres erzähle, hat mir das Geheimnis meiner Rettung erklärt, dergestalt, daß mein Gaul ein Geschoß in die Flanke erhielt im gleichen Augenblick, da ich selbst fiel. Pferd und Reiter purzelten also wie ein Kartenhaus zusammen. Beim Sturze drehte ich mich nach rechts oder links, jedenfalls legte sich der Leib meines Pferdes über mich, und so schützte er mich vor dem Zertretenwerden und vor neuen Wunden.
Als ich zu mir kam, mein Herr, war ich in einer so fürchterlichen Lage, erstickte in einem so grauenhaften Dunst, daß ich Ihnen keinen Begriff davon geben kann, und hätte ich auch Zeit, bis morgen weiter zu erzählen. Das bißchen Luft war Fäulnisbrodem. Ich wollte mich regen, nirgends war Raum. Öffnete ich die Augen, gab es nur Grabesdunkel ringsum. Die geringe Menge Luft zum Atmen, die ich noch erhaschte, gab mir eine schrecklichste Drohung von Gefahr und blitzschnell Klarheit über meine Lage. Ich sah ein: dort, wo ich jetzt war, erneuerte sich die Atmosphäre nicht, sterben mußte ich. Dieser Gedanke verjagte das Gefühl des körperlichen Schmerzes, durch das ich erwacht war. Meine Ohren beginnen zu dröhnen, ich höre oder glaubte zu hören, wie der Haufen von Kadavern seufzt und stöhnt, wer kann es sagen, und mitten unter ihnen ich. Dunkel ist die Erinnerung an diesen Augenblick, mein Gedenken verworren, tiefer waren die Eindrücke des Leides, das mich erwartete, und sie sind es, die mein Hirn verstört haben, und doch erlebe ich jetzt noch Stunden, da ich nachts erwache und die Leichen unter mir erstickt stöhnen höre. Aber es gibt noch etwas, das fürchterlicher ist als alle Schreie, das ist die Totenstille, die ich sonst in keinem Winkel der Welt gefunden habe, das wahre eisige Schweigen der Gruft. Endlich recke ich meine Hand aus, taste um mich, entdecke einen leeren Raum
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