Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
erste mit einem faltigen Gesicht, das zweite mit einem glatten, und unter den Fotos stand »vorher« und »nachher«.
Niemand lacht über diese pseudolandwirtschaftliche Zeremonie, die in einem Kibbuz stattfindet, in dem Parfüms die Fortführung der Feldarbeit überhaupt ermöglichen, dachte Aharon. Und vielleicht war das der Grund, daß Srulke nicht anwesend war. Aharon hatte ihn gesucht, um ihm guten Tag zu sagen. Auch im Speisesaal hatte er ihn nicht gesehen. Sie würden sich bestimmt bei der Feier tref fen, hatte Mojsch versprochen. »Er wird es sich nicht entge hen lassen«, hatte er grinsend gesagt, »selbst nachzuschauen, was man mit seinen Blumen gemacht hat.«
Während er sich suchend nach Srulke umschaute und eigentlich versuchte, Osnat zu entdecken, dachte Aharon, daß der Kibbuz wenigstens in Hinblick auf den Nachwuchs blühte. Ein Fremder , jemand von außerhalb könnte sich fragen, ob hier noch andere Tätigkeiten stattfänden außer jenen auf dem Gebiet der Reproduktion. Unmengen von Kindern liefen herum, und die Gelassenheit, die er den großen Familien anzusehen glaubte, weckte in ihm schmerzhafte, undefinierbare Sehnsüchte. Doch eine innere Stimme brachte sie schnell zum Schweigen. Der kleine Teu fel in ihm spottete sofort über seinen Wunsch dazuzugehören, und die Zweifel, die im Lauf der Jahre immer stärker geworden waren, meldeten sich jetzt zu Wort und ließen ihn die Familien mit einer Herde gelassener, holländischer Kühe vergleichen, eine Assoziation, die seine feierlichen Empfindungen irreparabel schädigte. Er versuchte gegen das Gefühl anzugehen, an dieser gelassenen Ruhe hier sei etwas Törichtes, erinnerte sich an die Wut, die ihn früher oft gepackt hatte und die er auch heute empfunden hatte, als er mit Mojsch zum Speisesaal gegangen war, zum Mittagessen.
Von Mojschs Zimmer zum Speisesaal war es nicht weit, es dauerte aber ziemlich lang, weil jeder Chawer, den sie trafen, sie völlig selbstverständlich aufhielt, und wenn kein Chawer sie aufhielt, dann war es Mojsch selbst, dem ständig noch eine dringende Erledigung einfiel. Er machte am Kinderhaus halt, um zu sehen, ob der tropfende Wasserhahn repariert worden war und ob man im Kindergarten den Sandkasten aufgefüllt hatte. Dann erkundigte er sich im Sekretariat, ob jemand, dessen Anruf erwartet wurde, auch wirklich angerufen hatte, las mit großem Interesse die Nachrichten am Schwarzen Brett, nahm die Zeitung aus seinem Fach, las die Zettel, die ebenfalls darin lagen, und beantwortete einen Telefonanruf in der Halle im Erdgeschoß. Erst dann stiegen sie die Stufen zum ersten Stock hinauf, zum Speisesaal. Oben blieb Mojsch im Eingang stehen, um sich einen Überblick zu verschaffen, und es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er endlich ein Tablett nahm.
Als sie dann an der Essensausgabe warteten, wurde Aharon von einer plötzlichen Müdigkeit gepackt, einem Gefühl von vergeudeter Zeit, von Passivität. Man braucht nur den Speisesaal zu betreten, schon sinkt die Sauerstoffzufuhr im Körper und das Herz schlägt langsamer, dachte er. Diese phlegmatische Ruhe, diese Langsamkeit kann einen verrückt machen.
Unwillkürlich hatte er sich wieder auf das alte Ratespiel eingelassen: Wer ist wer, wer gehört zu wem? Es gelang ihm, drei oder sogar vier Generationen zu identifizieren. Zwar konnte er nicht erkennen, wer von den Erwachsenen im Kibbuz geboren worden war oder wer eingeheiratet hatte, doch er sah sofort, wer, so wie er selbst, nur Gast war.
Inzwischen hatte die Zeremonie begonnen. Er konnte Osnat nirgends entdecken, wagte aber auch nicht, offen nach ihr zu suchen. Zuerst wurden die Arbeiter der Obstund Gemüseplantagen auf den Platz gerufen. Zwei Kinder und zwei Männer in blauer Arbeitskleidung brachten ihre Gaben in großen Körben zur Heuwand und stellten sich ans Mikrofon. In ihrer kurzen Rede sprachen sie über die Ernte des Jahres, über Mangos, Avokados, Kiwis, sogar über Karambole und Ananas, jedoch nicht über Aprikosen und Trauben. Wieder fühlte sich Aharon betrogen. Die übervol len Körbe sahen aus, als habe man sie aus dem Schaufenster eines Obstgeschäfts in der Ben-Jehuda-Straße in Tel Aviv herausgeholt, oder wie die Obstkörbe in großen Hotels. Was für ein Anachronismus, sagte er sich, es sind Körbe, wie sie früher von den Pionieren zur Darbringung der ersten Früchte benutzt wurden, aber was bedeutet das noch, wenn sie jetzt solches Obst enthalten?
Nun waren die Arbeiter der Baumwollfelder an der
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