October Daye: Nachtmahr (German Edition)
so lange gebraucht hat.
»Tante Birdie?«, flüsterte Cassandra.
Ich entspannte mich und sah über die Schulter. »Ja, Kätzchen?« Spike zog immer noch langsam Kreise und knurrte grollend. Ich war nicht sicher, was ihn so aufbrachte, aber ich trat ihm auch nicht in den Weg.
»Hast du sie gefunden?«
»Noch nicht. Tut mir leid.«
»Oh.« Ihre Miene verdüsterte sich. »Mama geht es nicht gut. Kommst du runter?«
Der Ton von Spikes Knurren änderte sich. Er wurde eindringlicher. Dann hörte er auf, im Kreis zu laufen, und pirschte steifbeinig auf die Tür des Jungszimmers zu. »Nicht jetzt«, sagte ich schnell. »Sorg dafür, dass deine Mutter und alle anderen unten bleiben, ja?«
»Okay«, sagte Cassandra unschlüssig und betrachtete Spike. »Dein Rosenkobold knurrt.«
»Ich weiß. Geh runter, Cass. Ich bin gleich bei euch.« Oder tot , fügte ich im Stillen hinzu. Ich gebe mir Mühe, Warnungen nicht zu ignorieren, besonders wenn ich sie nicht verstehe. Spike mochte wegen einer Maus so ausrasten, aber es konnte auch eine Reaktion auf etwas sein, das ich nicht wahrnahm. Auf das Schlimmste gefasst zu sein ist eine gute Methode, nicht überrumpelt zu werden.
Cassandra sah mich mit gerunzelter Stirn an. Dann drehte sie sich um und ging hinunter.
Ich wartete auf das Verklingen ihrer Schritte, bevor ich Spike ins Jungszimmer folgte. Die eine Hälfte war Anthonys, dekoriert mit Raumschiffen und astronomischen Postern, der Boden geringfügig sauberer. Andrews Seite war in Dinosauriern und Clowns gehalten. Alles in grellen Regenbogenfarben mit abgerundeten Kanten. Die Dinosaurier, die ich ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, standen auf einem Regal neben dem Bett und wirkten klein und irgendwie traurig. Der Junge, der sie liebte, war nicht da.
Spike blieb in der Mitte des Zimmers stehen, warf den Kopf zurück und jaulte gellend, ein Laut, der an meinen Nerven schabte und sie bloßlegte. Ich fuhr zusammen und trat dann an ihm vorbei, um Andrews Bett zu untersuchen. Es sah nicht so aus, als hätte hier ein Kampf stattgefunden. Die Laken waren zurückgeworfen und die Decke auf eine Seite geschoben, aber das war nicht ungewöhnlich. Kinder schlafen unruhig. Falls Andrew aus dem Bett geholt worden war, war er entweder gar nicht aufgewacht oder freiwillig mitgegangen. Bedachte man die Gegebenheiten von Faerie, so war beides denkbar. Ich kniete mich hin, um unter das Bett zu sehen, bevor ich mich durch den Kleiderschrank stocherte.
Nichts hier wirkte ungewöhnlich, und doch, ungeachtet des scheinbaren Friedens, lag etwas in der Luft, was den Raum verdächtig machte. Ich schob mein Messer in die Scheide, schloss die Augen und atmete tief ein. Da – da unter den zu erwartenden Gerüchen nach Schweiß und kleiner Junge waren fremde Nuancen. Ich konzentrierte mich ganz auf sie und blendete alles andere aus.
Als Erstes bemerkte ich den Geruch von Blut. Natürlich. Ich bin die Tochter meiner Mutter, und wenn es irgendwo Blut gibt, spüre ich es auf. Ich identifizierte das Blut auf Anhieb als Andrews und spürte ihm lange genug nach, um sicherzugehen, dass er als Einziger geblutet hatte und seine Wunden allenfalls oberflächlich waren. Doch unter dem Blut gab es noch andere Duftspuren wie unerklärliche Muster. Also blendete ich auch das Blut aus und richtete meine Aufmerksamkeit ganz auf sie.
Moder. Alter, trockener Staub. Asche. Feuer. Stahl. Die Spuren waren schwach, fast völlig überdeckt von den Gerüchen von Blut und Plastik und Weichspüler und Fingerfarben, aber sie waren da. Und ich hatte keine Ahnung, was sie bedeuteten.
Immer noch mit geschlossenen Augen streckte ich die Arme aus und versuchte der Geruchsspur zu folgen, wobei ich den quiekenden Dinosauriern unter meinen Füßen keine Beachtung schenkte. In der Nähe des Bettes wurde sie stärker. Meine Hände stießen ans Fenster. Ich blieb stehen, legte die Handflächen gegen das Glas und versuchte die allmählich besser unterscheidbaren Gerüche zu sortieren.
Da war der charakteristische Duft von Kerzenwachs, frisch verbrannt und noch nicht erstarrt, versteckt unter den stärkeren Noten von Blut und Feuer. »Kerzen?«, sagte ich verwundert. Spike knurrte erneut, und das Geräusch steigerte sich zu einem Brüllen, als der Geruch von Asche auf einmal alles andere überwältigte. Die Scheibe unter meinen Händen wurde urplötzlich sengend heiß, und ich zuckte zurück und öffnete die Augen. »Was zum Henker … ?«
Das Fenster sah völlig normal aus, es zeigte
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