October Daye: Nachtmahr (German Edition)
draußen war, hatte vermutlich nichts Gutes im Sinn.
Mit wachsender Paranoia sah ich zurück zur Tür, als mein Besucher erneut klopfte. Ich hatte wirklich keine Lust, mich noch vor dem Morgenkaffee mit unbekannten Bedrohungen auseinanderzusetzen, aber was immer da war, ging nicht weg. Na großartig! Als ich die Tür erreichte, griff ich in den Schirmständer und zog meinen Baseballschläger heraus. Ein Mädchen in meiner Lage kann nicht vorsichtig genug sein, und ich hatte festgestellt, dass ein Schlag auf den Kopf mit einem Aluminiumknüppel die meisten Monster einzuschüchtern vermag, zumindest für einen Moment.
»Wer ist da?«, rief ich. Das Blut meiner Mutter lehrte mich alles über Monster, aber beide Seiten der Familie lehrten mich, dass es zu Ohrfeigen führt, seine Manieren zu vergessen.
»Süße Grüße!«
Ich starrte die Tür an. Wer immer das war, hatte nicht nur meine Katzen erschreckt, sondern bediente sich auch schlechter Comedy-Klischees: wahrer Stoff des Schreckens. Und etwas an der Stimme stellte mir die Nackenhaare auf. Rasch ging ich im Geiste den Katalog der Möglichkeiten durch, aber ich kam auf niemanden, den ich kannte. Für den Fall, dass es eine meiner Nachbarinnen war, verbarg ich den Schläger hinter meinem Rücken und öffnete die Tür. Und erstarrte.
In Anbetracht der Dinge – und Leute – , die ich in der Vergangenheit schon auf meiner Türschwelle vorgefunden hatte, nahm ich nicht an, dass mich noch etwas überraschen konnte. Das war ein Irrtum.
Sie war etwa eins siebzig groß mit langen, fast schlaksigen Gliedern und der Art von Kurven, die in allem Formlosen verloren gehen. Ihr glattes braunes Haar fiel ihr bis auf die Schultern, schaffte es aber nicht, ihre spitz zulaufenden Ohren zu verbergen. Sie hatte ein prägnantes Gesicht, das man nie hübsch nennen würde, nicht mal bei einem Kind. Ausdrucksvoll vielleicht, oder sogar »bühnenreif«, aber niemals hübsch. Auch wenn ihre Augen schön waren, groß und strahlend mit einer grauen Iris, so blass, dass sie die Farben ihrer Umgebung zu spiegeln schien. Ich kannte diese Erscheinung nur zu gut. Immerhin sah ich sie jeden Morgen im Spiegel. Es war, als hätte ich ein Foto vor mir, nur dass dieses Foto meinen vor Schreck offen stehenden Mund mit einem herablassenden Grinsen quittierte und sich lässig an einen imaginären Hut tippte.
Der einzige sichtbare Unterschied zwischen uns waren die Klamotten. Sie trug einen langen grünen Schlabberrock und ein cremefarbenes Sweatshirt mit dem Aufdruck Shakespeare im Park: Wie die Menschen närrisch sind ! in pseudo-gotischen Lettern. Ich hingegen war barfuß im Bademantel.
»Was zum – «
»Mein Name ist May Daye«, sagte sie. »Ich bin erfreut, dich kennenzulernen.«
Nicht mal ein Schock kann meinen perversen Sinn für Humor abwürgen. »Wie putzig«, höhnte ich. Dann erstarrte ich wieder und fragte mich, wen oder was ich gerade beleidigt hatte. Ich bin normalerweise ziemlich gut darin, die Blutlinien fremder Leute – oder Wesen – zu erkennen, aber schmerzliche Erfahrungen der Vergangenheit haben mich gelehrt, dass ich keineswegs unfehlbar bin. Besonders wenn ich es mit Gestaltwandlern zu tun habe.
»Im Ernst? Ich finde ja, es klingt ein bisschen abgedroschen, aber was soll man machen? Eine Beschwerde an das Universum schicken? Na, egal.« Sie fegte an mir vorbei und sah sich ausgiebig im Wohnzimmer um. »Gefällt mir, was du aus dieser Bude gemacht hast. Hey, da sind ja die Katzen!« Sie streckte Cagney and Lacey die Hand entgegen, die immer noch ihr Bestes taten, unterm Kaffeetisch zu verschwinden. »Komm her, Cagney, komm, Lacey … « Die Katzen schossen davon wie der Blitz und verschwanden im Flur.
May schüttelte den Kopf und ließ sich auf die Couch fallen, wo sie sich entspannt ausstreckte. »Törichte Katzen. Wie auch immer, du nimmst besser den Schläger da runter, bevor du noch jemanden verletzt, mich zum Beispiel. Ich bin allergisch gegen körperliche Schmerzen. Ich bin ziemlich sicher, dass ich davon Ausschlag bekomme.«
Ich schloss langsam die Tür und ließ weder den Schläger los noch sie aus den Augen. Sie sah aus wie ich, sie klang wie ich, sie hätte jeden ahnungslosen Beobachter hinters Licht geführt. Wenn sie es fertigbrachte, still zu sitzen und den Mund zu halten, konnte sie meine besten Freunde täuschen. Selbst der von Devin angeheuerte Doppelgänger hatte seinen Job nicht so gut gemacht.
May schüttelte wieder den Kopf. »Mach den Mund zu. Du
Weitere Kostenlose Bücher