Oder sie stirbt
angespannter als sonst, wollte ich sagen.«
Wir hatten sehr schnell zu einem vertrauten Verhältnis gefunden. Nachdem wir eine Menge Zeit hier im Aufenthaltsraum verbrachten, hatte er oft mitgehört, wenn ich mit Julianne über mein Leben redete. Mit seinem brutalen und respektlosen Scharfsinn hatte er mir schon so manches Mal weitergeholfen. Doch jetzt zögerte ich mit der Antwort.
Julianne kam zurück ins Zimmer, machte gereizt ein Fenster auf und steckte ihre Zigarette an. »Sie führen gerade ein paar Eltern zukünftiger Studenten durchs Haus. Wahnsinn, was für vernichtende Blicke.«
»Patrick wollte uns gerade erzählen, warum er so zerstreut ist«, insistierte Marcello.
»Ach, da ist nichts. Im Grunde total blöd. Ich hab heute Morgen eine DVD bekommen, die mir jemand in die Zeitung gesteckt hat. Irgendwie fand ich das ziemlich unheimlich.«
Marcello runzelte die Stirn und fuhr sich über den säuberlich gestutzten Bart. »Eine DVD mit was drauf?«
»Ich bin drauf, sonst nichts.«
»Und was tust du?«
»Ich putz mir die Zähne. In der Unterhose.«
»
Das
nenn ich mal krank«, entfuhr es Julianne.
»Wahrscheinlich bloß ein Streich«, meinte ich. »Ich kann nicht mal behaupten, dass das Ganze irgendwie persönlich wäre. Kann sein, dass einfach irgendein Junge in der Nachbarschaft rumgeschlichen ist, und ich war der einzige Trottel, der bei offenen Fensterläden pinkeln ging.«
»Hast du die DVD noch?« Julianne hatte vor Aufregung ganz große Augen. »Komm, wir gucken sie uns mal an.«
Vorsichtig, um die frischen Schürfwunden an meinen Knöcheln nicht zu berühren, zog ich die DVD aus meiner Tasche und steckte sie in den Player, der im Aufenthaltsraum stand.
Marcello stützte die Wange auf einen schlanken Finger und sah zu. Als die Aufnahme zu Ende war, zuckte er mit den Schultern. »Ein bisschen unheimlich, aber nicht wirklich gruselig. Die Qualität ist allerdings das Hinterletzte. Ist das digital?«
»Ich schätze, ja.«
»Sind irgendwelche Studenten grade sauer auf dich?«
Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen. »Eigentlich fällt mir da niemand Besonderes ein.«
»Sieh doch mal nach, ob irgendjemand wegen dir durchfallen könnte. Und überleg auch, ob du irgendwelchen Mitgliedern der Fakultät auf den Fuß getreten sein könntest.«
»In meinem allerersten Monat?«
»Was deine soziale Kompetenz betrifft, hast du dich bisher nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert«, gab Julianne zu bedenken.
Marcello deutete auf das Gebäude. »Die Fakultät ist voll von Leuten, die Filme machen. Und die meisten von diesen Filmen sind ungefähr so meisterhaft wie dieses Video, das wir hier eben gesehen haben. Also massenweise Verdächtige. Ich bin sicher, dass sich da jemand nur einen gemeinen Scherz erlaubt hat.« Er verlor das Interesse und wandte sich wieder seinen Korrekturarbeiten zu.
»Ich weiß ja nicht …« Julianne steckte sich eine neue Zigarette an der alten an. »Warum steckt man jemandem, dass man ihn beobachtet?«
»Vielleicht ist einer beim Spionageexamen durchgefallen«, scherzte ich.
Sie gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. Gemeinsam betrachteten wir die Studenten, die unten aus dem Gebäude kamen. Mit den riesigen Fenstern, den Säulengängen und dem geschwungenen Metalldach war mir Manzanita Hall – ein Produkt der Wiederaufbauarbeiten nach dem Erdbeben von 1997 – immer seltsam gewagt vorgekommen.
»Marcello hat recht.
Wahrscheinlich
ist es nur Schikane. Und wenn das so ist, brauchst du dich nicht weiter drum zu kümmern. Aber es wäre auch möglich …« Sie blies den Rauch durch den Fensterspalt. »… dass es eine versteckte Drohung sein soll. Ich meine, du bist Dozent für Film und Drehbuchautor …«
»Ehemaliger Drehbuchautor«, sekundierte Marcello.
»Egal. Wer das hier gemacht hat, weiß wahrscheinlich, dass du jeden Thriller gesehen hast, der jemals im Kino gelaufen ist.« Sie hatte das Handgelenk abgeknickt, drückte den Ellbogen gegen die Hüfte und sah mit ihrer herunterbrennenden Zigarette aus wie einem Film noir entstiegen. »Das mit der Filmaufnahme als Hinweis, das ist doch aus
Blow Up,
oder?«
»Oder
Blow Out
«, sagte ich. »Oder
Der Dialog.
Obwohl mir diese Aufnahme ja nicht zufällig in die Hände gefallen ist. Sie wurde mir quasi ins Haus geliefert.«
»Trotzdem. Die wussten auf jeden Fall, dass du auf solche Kinosachen anspringst.«
»Aber warum macht jemand so etwas?«
»Vielleicht wollen sie was ganz Bestimmtes.«
»Und was,
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