Odice
keinesfalls Hände, von denen man annahm, dass es eine ihrer liebsten Freizeitbeschäftigungen sein könnte, einer Frau den Hintern zu versohlen.
Diese Art der körperlichen Züchtigung war etwas, das niemals in Odice’ Lebenswirklichkeit gehört hatte. Entweder war es ihr im Rahmen erotischer und historischer Romane begegnet und gehörte damit in den Bereich der literarischen Fiktion oder aber es galt ihr als Sinnbild bäurischer Rohheit, eng verbunden mit derben Sitten und schwieligen Pranken.
Dann fiel Odice’ Blick auf Juliens Rücken und sie erstarrte. Er trug noch immer das weite Piratenhemd, doch an manchen Stellen klebte der feine Stoff an seinem Körper und zwar nicht, weil er geschwitzt hatte, sondern von den blutigen Wunden, die ihm Eric mit der Peitsche zugefügt hatte. Odice wurde übel. Mit bebenden Fingern schob sie ihm das Hemd vorsichtig bis zu den Schultern hoch.
»Was machst du da?« murmelte er schläfrig.
Fassungslos starrte Odice auf seinen geschundenen Leib. Was sie vor sich sah, war nicht das Ergebnis eines erotischen Spiels, sondern das Resultat wirklicher Folter. Sie konnte den Anblick kaum ertragen und er trieb ihr Tränen der Wut und der Abscheu in die Augen.
»Hast du eine Wundsalbe und Eis da?« fragte sie mit tonloser Stimme.
»Ich sagte dir doch schon, dass das nicht nötig ist, Odice«, gab er leicht genervt zurück.
»Doch, das ist nötig, du sturer Bock. Dein Rücken sieht aus wie das Kreuz eines Galeerensklaven«, entgegnete sie nun eine Nuance schärfer.
»Also gut, wenn dir der Anblick meiner Kehrseite so sehr am Herzen liegt. Eine Tube mit Creme findest du in der Nachttischschublade und Eiswürfel sind im Gefrierfach der Minibar da drüben im Sideboard.«
Odice stand auf und suchte die Sachen zusammen. Dann ging sie ins angrenzende Badezimmer, dessen freistehende Marmorwanne sie schon zwei Nächte zuvor hatte vor Neid erblassen lassen und nahm ein kleines Handtuch aus dem offenen Regal, in das sie die Eiswürfel wickelte.
Dann kletterte sie wieder zu ihm aufs Bett und begann mit zitternden Fingern die inzwischen bläulich verfärbten, blutunterlaufenen Schwielen zu kühlen und die anderen Striemen mit der Fettsalbe zu versorgen.
Bei der ersten Berührung hatte Julien kurz aufgestöhnt, doch dann drang kein Laut mehr über seine Lippen. Ab und zu zuckte er unter ihrer behutsamen Behandlung leicht zusammen, doch er beschwerte sich nicht mehr über ihre Fürsorge.
»Du machst einen sehr erfahrenen Eindruck in der Versorgung von Folteropfern«, befand er scherzend.
»Nein. Ehrlich gesagt sehe ich so etwas zum allerersten Mal und es schockiert mich zutiefst.«
Sie fuhr sanft mit den Eiswürfeln über sein Schulterblatt.
»Stammen die Narben auf deinem Rücken auch von Erics Peitsche?«
»Ja. Aber sie sind schon sehr alt.«
Odice schluckte schwer. Ihre Wut auf Eric wuchs ins Unermessliche.
»Warum lässt du dir das von ihm gefallen?« wollte sie wissen.
»Weißt du, dass du sehr viele Fragen stellst, meine neugierige Odice? Eigentlich gibt es keinen Grund, sie dir zu beantworten. Ich könnte dir sogar den Mund verbieten, meine wissbegierige Sklavin.«
»Ja, das könntest du«, bestätigte sie ungerührt, während sie das Eis nun über seine gefolterten Lenden wandern ließ. Sie konnte spüren, wie er sich unter ihren Händen entspannte und dass ihm ihre Behandlung guttat.
»Was ist das zwischen dir und Eric?« fragte sie schließlich, ohne sich von den möglichen Konsequenzen abschrecken zu lassen.
»Du weißt, dass du dich auf dünnem Eis bewegst, ma chère «, warnte er sie.
Julien drehte sich auf die Seite, stützte den Kopf auf seinen Arm und fixierte sie unverwandt mit seinen Eisaugen.
»Also schön, Odice. Zunächst einmal ist Eric achtzehn Jahre älter als ich. Er gab mir de Sades Justine und Pauline Réages Histoire d’O zu lesen, da war ich zwölf.«
»Hat er dich… ich meine, hat er Sie –«
»Vergewaltigt?« Julien sprach das Wort so kalt aus und mit einem so sarkastischen Beiklang, dass Odice zusammenzuckte. Dennoch nickte sie stumm.
»Nein. Aber mit fünfzehn legte er mir meine erste Hure ins Bett. Es war sein Geburtstagsgeschenk.«
Julien lachte bitter.
»Eric ist ein Libertin, ein Nonkonformist, ein Freidenker im Sade’schen Sinne. Aber er ist kein Verbrecher und kein Vergewaltiger. Seine Opfer wissen, worauf sie sich einlassen.«
»Hast du es gewusst und hattest du die Wahl?«
»Heute ja, damals nein. Wenn ich eine schlechte Note
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