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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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warten, bis Rigmaroles unglückseliges Bein wieder geheilt ist.« Odin sah sein Pferd bekümmert an.
    »Ich will nicht unliebenswürdig sein, aber ich weiß, wovon ich spreche. Das Beste wäre, das Pferd zu schlachten.« Der Schmied deutete wieder mit der Pfeife auf Rigmarole, die aus reinem Schreck der Länge nach auf den Bauch fiel.
    »Seht euch das an! Seht euch das an!«, rief Odin und legte seine Hand auf den Pferdehals.
    »Ja, bereiten Sie seinen Schmerzen lieber ein für alle Mal ein Ende«, tröstete der Schmied.
    »Nein, nein. Das kommt überhaupt nicht in Frage!« Odin zog an seinem Bart, wie sollte er mit nur einem Pferd weiterkommen? »Es muss doch hier oder in der Umgebung jemanden geben, der Rigmaroles Bein behandeln kann?«
    Jetzt war der Schmied um Worte verlegen. Er wusste sehr gut, welche Gefühle ein Mann für sein Pferd hegen kann, aber er wusste auch, dass es in Smedieby keinen Arzt gab und dass der Arzt in Posthusby, der manchmal Wunder wirken konnte, sich keinem Pferd näherte und sich auch bis zu seinem Todestag weigern würde, das zu tun. Nein, es nützte nichts, auch nur daran zu denken. Zum ersten Mal, soweit sich alle – er eingeschlossen – erinnern
konnten, wusste er nicht, was er sagen sollte. Und während der Schmied nach der besten Art, nichts zu sagen suchte, beschloss Mutter Marie – die Mutter von Ida-Anna und Ingolf –, dass es an der Zeit war, dass der ein oder andere das ein oder andere tat. Mutter Marie fror, und sie hatte eine gut gemästete Ente auf dem Feuer, die bestimmt gewaltig anbrennen würde, wenn sie sie nicht bald herunternahm.
    »Während ihr Männer darüber nachdenkt, was mit dem armen Geschöpf geschehen soll, sollte jemand unseren Gast ins Warme bitten und ihm einen Becher Weihnachtsbier servieren. Schließlich ist heute Weihnachten, das sollten wir nicht vergessen«, sagte Mutter Marie, und alle Einwohner nickten eifrig, um zu bekräftigen, wie gerne die Einwohner von Smedieby den Fremden zu einem Becher Weihnachtsbier einladen würden. Nicht umsonst war Smedieby weit und breit für seine Gastfreundschaft berühmt.
    Mutter Marie wartete nicht auf Antwort, sondern griff resolut nach Odins Arm und schlug den Weg Richtung Dorf ein. Ida-Annas Mutter war eine robuste Dame mit einem runden Bauch und zwei langen kräftigen Beinen, und Odin hing mehr an ihrem Arm, die Stiefelspitzen schwebten über dem Schnee, als dass er ging.
    Verschreckt angesichts der Aussicht, mit dem Mann allein gelassen zu werden, der es als das Beste ansah, sie zu schlachten – und der sie darüber hinaus für einen Er hielt –, begann Rigmarole ihr Bein so schnell zu bewegen, dass es aussah, als hätte sie acht Beine, von denen nur eins unbrauchbar war. Eine Schneewolke bildete sich in der Luft und ließ die Dorfbewohner zurückweichen, und auf seltsame Weise hob das Pferd von der Erde ab und flog – später würden die Einwohner von Smedieby ihren Nachbarn aus Posthusby gegenüber beschwören, dass sie fliegen meinten, wenn sie fliegen sagten – durch die Luft zu dem Schlitten, wo es sich auf den breiten, dick gepolsterten Sitz gleiten ließ. Und sobald seine Kameradin gut saß, lehnte Baltazar sich vor, bohrte die Hufe tief in den Schnee und setzte all seine Kräfte ein. Seine Muskeln spielten unter dem gelben Fell, die Blutadern in seinem Kopf und an seinen Beinen traten hervor. Mit einem Knall strafften sich die widerspenstigen Knoten, und
der Schlitten bewegte sich langsam, aber sicher den Weg entlang hinter Odin her.
    Mutter Marie und Odin, die an der Spitze des Zuges gingen, konnten nicht sehen, was hinter ihnen vor sich ging. Aber den übrigen Dorfbewohnern hatte es die Sprache verschlagen. Nie zuvor hatten sie ein Pferd über die Erde schweben sehen. Und nie zuvor hatte auch nur einer von ihnen, einschließlich des Schmieds, der sonst alles wusste, was es von Pferden zu wissen gab, gesehen, dass ein Pferd von einem anderen in einem Schlitten gezogen wurde. Die Einwohner von Smedieby kniffen die Augen zusammen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumten. Dann richteten sie den Blick auf den Schmied. Aber der Schmied sagte kein Wort, und solange der Schmied die Angelegenheit nicht kommentierte, erdreistete sich auch kein anderer, das zu tun. Und in einer Stille, wie sie nie zuvor in Smedieby zu hören gewesen war, folgten die Dorfbewohner, die Kinder zuletzt, Mutter Marie und dem kleinen alten Mann und dem Pferd mit dem Schlitten, der von dem anderen Pferd gezogen wurde,

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