Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache
nehmen.“
„Du darfst dich auf keinen Fall mit ihm schlagen!“
„Schlagen? Lieber Freund, wie kommst du darauf? Ist es Stiefelart, sich zu schlagen? Zumal diese Stiefel noch neu sind und einen so guten, festen Tritt haben. Glaub mir, sie treffen jeden Hintern.“
Wenig später hielten wir unten am Tor. Es war ein Zangentor mit zwei hohen Wällen, die eine Gasse bildeten, an deren Ende sich die Pforte befand. Diese stand offen, es schien auch niemand auf den Wällen Wache zu halten.
Odo und ich saßen ab und übergaben den anderen unsere Reittiere.
„Wartet hier alle!“, sagte Odo. „Von Wachsamkeit halten sie nichts, aber wir wollen höflich sein und uns anmelden.“
Er stapfte voraus, ich folgte ihm. Wir durchschritten die Pforte und gelangten In den geräumigen Hof. Rechts und links standen niedrige Hütten. Es roch nach Mist und frischem Brot. Ein Hund bellte uns an,
Wir folgten dem Licht der Kienfackeln und den Tönen des Sängers und standen nach hundert Schritten an der Freitreppe des Herrenhauses. Das heißt, wir standen vor einer Wand von Rücken. Alles, was ringsum zwei Beine hatte, schien hier versammelt zu sein: das Hofgesinde, Bauern aus dem Dorf, Männer, Frauen, Kinder. Und darunter wohl auch die Torwächter, die eigentlich auf ihrem Posten sein sollten. Mit offenen Mäulern lauschten sie alle dem angelsächsischen Orpheus.
Dieser stimmte gerade einen neuen Gesang an, der Odo und mir bekannt vorkam. Es war die Weise von dem edlen Schutzflehenden, der sich in das Töchterlein seines Wirtes verliebt. Odo sah mich an und grunzte missfällig. Auch ich erinnerte mich nur zu gut daran, wie der Sänger mit diesem Lied Prinzessin Rotrud gehuldigt hatte. Gab es auch hier eine schöne junge Person, der er die Perle seiner Sangeskunst darbrachte?
Odo musste dieselbe Frage beschäftigen. Es überforderte seine Geduld, das Ende des Liedes abzuwarten. Er stieß einem vor ihm stehenden Bauern die Faust in den Rücken. Der machte eilfertig Platz. Noch ein paar Püffe und eine Gasse war frei. Wir schritten hindurch und stiegen die wenigen Stufen hinauf. Vor der offenen Tür standen ein paar stämmige Knechte, die Arme gekreuzt, uns den Rücken zukehrend. Odo verzichtete vorerst darauf, an ihnen vorbei weiter vorzudringen. Wir konnten nun aber schon einen Blick in das Innere des Hauses werfen.
Im vorderen Teil, dem Saal, einem großen düsteren Raum, dessen Wände aus dicken Pfosten und Bohlen von Eichenholz gezimmert waren, saßen auf Bänken an die zwanzig Männer. Die meisten waren ehrwürdige Graubärte, wohl die Vornehmsten und Ältesten des Herrenhofs und des Dorfes. Der Sänger stand in der Mitte, im Reisekostüm, die Harfe im Arm.
Ich hatte richtig vermutet: Unter den Zuhörern gab es Frauen. Es waren nur zwei, die allerdings die Blicke stark anzogen.
Die eine, groß, üppig, mit blonder Mähne, in einem reich gestickten Gewand und aufreizend mit Armreifen, Halsketten und Ringen geschmückt, lehnte an einem der Pfeiler, die den Saal gegen die dahinter liegende Kammer abgrenzten. Sie stand hoch aufgerichtet da und hatte den Kopf stolz in den Nacken gelegt, doch ihre lebhaften dunklen Augen, die grell ummalt und künstlich vergrößert waren, wie ich es bei den Römerinnen gesehen hatte, hingen verzückt an den Lippen des Sängers. Sie schien von dem Vortrag in ungewöhnlicher Weise erregt zu sein. Ihr mächtiger Busen hob und senkte sich heftig, ihre unsteten Hände griffen bald nach den Schlüsseln, bald nach dem Kamm, bald nach dem silbernen Messeretui und anderen Gegenständen, die an ihrem Gürtel hingen. Ich bin ja in Bezug auf Frauen kein Kenner, doch habe ich selten eine gesehen, die mir auf den ersten Blick so erhaben und gleichzeitig so unruhig erschien. Sollte sie die Hausherrin sein, die von dem Köhler erwähnte Zentgräfin Begga?
Was für ein Unterschied zu der anderen weiblichen Person, die hier anwesend war, allerdings nicht im Saal. Sie befand sich in der erwähnten Kammer hinter der Pfeilerreihe, deren Fußboden höher lag als der des Hauptraums und deren Eingang man über drei Stufen erreichte. Die Tür stand offen und dahinter sah man diese Frau, halb sitzend, halb liegend auf einem Ruhebett, in dem schummrigen Licht, das aus dem Saal dort hinein drang. Ich sage „Frau“, obwohl man sie auf den ersten Blick auch für eine Jungfrau halten konnte. Es war eine zarte, schmale, zerbrechlich wirkende Schönheit. Mit großen, weit geöffneten Augen blickte sie Herrn Siegram an …
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