Ödland - Thriller
läuft, das innerhalb weniger Sekunden die Wasserqualität misst. »Ich frage mich, ob und wie wir den Hals noch mal aus der Schlinge ziehen können.«
Er erzählt ihr von seinen Überlegungen bezüglich der Naturkatastrophe in den Niederlanden und den indirekten Auswirkungen auf Kongoussi. Étienne zieht Alimatou gern zurate. Sie verfügt über einen gesunden, natürlichen Instinkt und ist sowohl über die Vorgänge in der Stadt als auch die weltweite Entwicklung bestens informiert. Sie ist ein ausgemachter Fan von Fatimata Konaté, die sie in den Rang eines weiblichen Idealbildes erhoben hat, »Fatou« nennt und sehr gut zu kennen vorgibt, weil ihre Tante Bana eine enge Freundin der Mutter der Präsidentin ist. Hadé Konaté lebt in Ouahigouya und leitet einen Zirkel, in dem Bangré, eine Art Hellseherei, betrieben wird.
Alimatou sitzt mit aufgestütztem Kinn am Tisch und hört ihrem Mann aufmerksam zu. Die Kinder sind fort - entweder in der Schule, die trotz allem noch geöffnet ist, oder irgendwo, wo es zumindest vermeintlich ein wenig kühler ist.
»Du machst dir mal wieder Sorgen um nichts und wieder nichts«, erklärt sie schließlich. »Es wird ganz bestimmt bald besser.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil Fatou sicher eine Lösung findet.«
»Ach ja? Hat sie dich angerufen, um dir das zu sagen?«
»Nein, Bana hat es mir gesagt.«
»Ah, die gute alte Tante Bana! Das hat sie bestimmt beim Bangré gesehen! Diese Hexengeschichten sind doch nichts als Fabeln, Alimatou. Du bist doch sonst so vernünftig! Ist dir etwa die Sonne zu Kopf gestiegen?«
»Du solltest diese Dinge nicht einfach so abtun, Étienne. Madame Konaté ist eine große silatigui, die in Ouahigouya und weit darüber hinaus einen ausgezeichneten Ruf genießt. Und sie hat allem Anschein nach ein Wunder für Kongoussi vorausgesehen. Sie sagt, dass sich Fatou persönlich um uns kümmern wird.«
Étienne zuckt die Schultern, trinkt seinen Tee aus und hält ihr sein Glas hin.
»Weib, du fantasierst. Gib mir lieber noch einen Schluck Tee, statt dummes Zeug zu reden.«
Geier
- 10. Oktober
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Fatou hat nicht mehr die Kraft, sich zu bewegen.
Wie zerschlagen kauert sie in einem windschiefen Liegestuhl im Schatten der Ziegelmauer ihres Hauses und lässt die trüben, verklebten Augen über den leeren, staubigen, unter einer unbarmherzigen Sonne brütenden Hof gleiten. Hartnäckige Fliegen sammeln sich auf ihren halb geschlossenen Lidern und den aufgesprungenen Lippen; von Zeit zu Zeit versucht sie, die Plagegeister mit einer müden, mechanischen Handbewegung zu verjagen, doch es nützt nichts. Fliegen gibt es immer noch genug, denkt sie. Für sie ist mehr als ausreichend Nahrung da. Für die Geier im Übrigen auch. Seit Tagen schon sitzen sie erwartungsvoll auf den oberen Ästen des vertrockneten Tamarindenbaums in der Mitte des Hofes und warten darauf, dass Fatou stirbt. Oder Idrissa, der im Hinterzimmer liegt und an Malaria dahinsiecht. Die Geier scheinen es zu wissen. Sie wissen immer im Voraus, wenn jemand stirbt. Manchmal verlassen sie die Tamarinde und fliegen mit schwerem, langsamem Flügelschlag davon. Dann hört Fatou, wie sie sich kreischend um einen Leichnam zanken - draußen auf der Straße oder in einem anderen Hof. Irgendwann kehren sie satt und vollgefressen zurück und warten weiter. Sie haben alle Zeit der Welt.
Fatou hebt die Augen zum Himmel. Sie sucht nach einer Wolke, nach einem Rastplatz für den Blick, nach einem Wunder. Doch sie sieht immer nur das Gleiche: Der Himmel ist ockerfarben, die Luft trüb von rotem Staub, und die verschleierte Sonne brennt mit tödlicher Kraft. Die Temperatur im Hof beträgt mindestens 55 Grad. Es ist bestimmt fünf oder sechs Jahre her, dass Fatou die letzten
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