Ödland - Thriller
Wolken gesehen hat; zumindest solche Wolken, die dicht genug waren, dass es daraus hätte regnen können. Und auch wenn sich die Regierung noch so sehr bemüht, die wenigen Wölkchen mit Salzkristallen zu bombardieren, die Stammeszauberer Opfer bringen und Imame und Priester um Regen beten - es hilft nichts. Gott hat das Land verlassen, ebenso wie die Geister der Vorfahren und die Hilfsorganisationen. Und was den Staat angeht, so verfügt er über keinerlei Mittel mehr. Geblieben sind nur die Geier - und die warten geduldig. Geier geben niemals auf.
Fatou hört, wie Idrissa im Hinterzimmer stöhnt. Was sagt er? Egal - Fatou kann ohnehin nichts für ihn tun. Sie hat kein Sulfadoxin mehr, und auch das Aspirin ist alle. Noch nicht einmal Wasser hat sie für ihn. Den kümmerlichen Rest im Vorratsbehälter würde nicht einmal mehr ein Hund anrühren. Hunde gibt es übrigens auch keine mehr; sie sind alle tot, entweder verhungert oder von verzweifelten Menschen gegessen. Davor waren es die Hühner, und vor diesen die Ziegen und Schafe. Und jetzt sind die Menschen dran, angefangen bei Kindern und Greisen.
Fatou hat drei Kinder gehabt. Die beiden älteren sind mit sieben und fünf Jahren an Typhus und Durchfall gestorben, weil dieses Schwein von Omar Kelemory ihnen ekelhaftes Wasser aus seiner vergammelten Zisterne verkauft hatte, und das auch noch zu einem horrenden Preis. Wer weiß, aus welchem verdorbenen Flussarm er es abgepumpt hatte! Seit die Regierung sich wieder um die Verteilung des Trinkwassers kümmert, ist es ein wenig besser geworden. Trotzdem hat Fatou auch ihr Nesthäkchen Alpha verloren. Wimmelnd vor Würmern und aufgebläht wie ein Ballon, ist er in ihren Armen gestorben. Sie hatte nicht ausreichend Milch für den Kleinen, aber auch kein Geld, um Milchpulver zu kaufen. Ihre leeren Brüste hängen schlaff herab, ihr Bauch ist eingefallen, und die Haut spannt über ihren Knochen. Fatou ist erst dreißig Jahre alt, doch man könnte sie ohne Weiteres auf das Doppelte schätzen.
Wieder stöhnt Idrissa. Deutlich dringt der Laut durch die lastende Stille. Die Stille! Außer dem Knirschen des Sandes und dem Krächzen der Geier ist kein Laut zu hören. Früher spielten und lachten Kinder im Hof, die Alten palaverten im Schatten der Tamarinde, und die Frauen hielten am Brunnen ein Schwätzchen. Wenn die moslemischen Nachbarn zum Fest des Fastenbrechens ein Schaf schlachteten, durften alle - auch die Andersgläubigen - an der Feier teilnehmen. Und dann die jungen Mädchen, die sich darum stritten, welche von ihnen mit dem schönen Morin auf seinem Motorrad zum See fahren durfte ... Früher, da teilte man miteinander und half sich gegenseitig. Heute kümmert sich jeder nur noch um seine eigenen Toten, und manchmal noch nicht einmal das. Aus Kongoussi ist eine den Geiern, den Fliegen und dem Harmattan ausgelieferte Geisterstadt geworden.
Fatou würde weinen, wenn sie noch Tränen hätte. Doch sie ist genauso ausgetrocknet wie der Tamarindenbaum. Vielleicht noch nicht ganz so tot, doch das wird nicht mehr lang auf sich warten lassen. Die Geier warten schon. Aber noch will sie sich ihnen nicht überlassen. Noch nicht. Sie hört, wie Idrissa röchelt. Sie müsste vielleicht doch einmal nach ihm sehen, aber sie hat nicht die Kraft aufzustehen. Überhaupt keine Kraft. Sie schließt die Augen. Und verjagt keine Fliegen mehr.
Markt
Mitteilung der Obersten Wasserbehörde von Burkina Faso
Richtlinie zur Wasserverteilung in den Provinzen Ouagadougou, Bam, Dori und Fada n ' Gourma:
Zulässige Höchstmenge: 20 Liter pro Person und Woche Anlieferung durch Tanklastzüge: Belieferung erfolgt jeden Freitag
Abnahme aus der Wasserleitung: Montag, Mittwoch und Freitag von 18:00 Uhr bis 19:00 Uhr
Staatlich festgesetzter Preis: derzeit 10 CFA/Liter
»Schläfst du, oder bist du tot?«
Mühsam öffnet Fatou die Augenlider einen Spaltbreit. Vor ihr steht ihre Nachbarin Josephine. Die letzte Nachbarin und außer ihr einzige Überlebende des Hofes. Josephines Mann Blaise ist vergangenes Jahr an Aids gestorben, und eigentlich hätte auch sie sich anstecken müssen, aber sie ist noch einmal davongekommen. Davor hatte sie Denguefieber, doch auch daran ist sie nicht gestorben. Später prostituierte sie sich auf der Straße nach Ouaga, um wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen; noch nicht einmal einen Tripper hat sie sich dabei eingefangen. Josephine ist unverwüstlich, sie hat das baraka. Die kleine, sehr rundliche Frau bringt es
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