Ödland - Thriller
in farblosen Lumpen, lässt plötzlich ihren Kanister fallen und stürzt zu Boden. Sie liegt im Sand, doch niemand kümmert sich darum, wie es ihr geht. Nach einiger Zeit kommt eine andere Frau, stellt fest, dass die Gestürzte längst tot ist, greift nach ihrer Kalebasse und drückt sie an sich, als wäre sie ein wertvoller Schatz.
Eine Stunde vergeht, doch der Wasserwagen ist immer noch nicht da. Aber das ist normal. Eine weitere Frau fällt um. Sonnenstich oder Entkräftung - woher soll man es wissen? Als sie versucht, sich wieder aufzurichten, helfen ihr die anderen, ziehen sie in den Schatten eines Verkaufsstandes und benetzen ihre Lippen mit ein paar Tropfen Wasser. Doch sie ist zu schwach, ihren Platz in der Warteschlange wieder einzunehmen, und wird den Tanklastzug versäumen.
Eine weitere Stunde verstreicht. Allmählich entsteht Unruhe bei den Wartenden. Was, wenn der Wasserwagen nicht kommt? Es wäre nicht das erste Mal. In einem Fall hatte der Lkw eine Autopanne, ein andermal wurde er von Straßenräubern überfallen, und es ist auch schon vorgekommen, dass die Tour aus unverständlichen, verwaltungstechnischen Gründen einfach abgesagt wurde. Aber jede der wartenden Frauen braucht doch Wasser! Woher sollen sie es nehmen? In der Menge machen wilde Gerüchte die Runde. Es heißt, dass der Bürgermeister immense Wassermengen horte, dass ein Zauberer aus dem seit zehn Jahren ausgetrockneten See Wasser habe sprudeln lassen und dass für die kommende Woche Regen angesagt worden sei. Irgendwer behauptet, jemanden zu kennen, dessen Bekannter auf einen Anruf hin Wasser aus Mali bringen würde.
Endlich kommt der Wasserwagen. Es ist nicht der Lkw der Regierung, sondern ein uralter Isuzu Diesel, der auf seinen defekten Stoßdämpfern daherschaukelt und dicke, schwarze, nach Öl stinkende Rauchwolken ausstößt. Die Frauen stürmen auf den Lkw zu. Vier mit M 16 bewaffnete Muskelmänner springen aus dem Führerhaus. Mit rücksichtslosen Kolbenstößen halten sie die Frauen in Schach, während der Fahrer den Schlauch an die Pumpe anschließt.
»Das Wasser ist rationiert«, verkündet der Mann. »Wir können maximal zehn Liter pro Person abgeben.«
Die Frauen protestieren. Ein neuerliches Handgemenge entsteht. Die Muskelmänner stellen sich schlagbereit mit erhobenen Gewehrkolben rings um den Wasserlieferanten auf. Die Frauen beruhigen sich und reihen sich so gut es geht wieder in die Warteschlange ein. Die Erste reicht dem Lieferanten ihren Kanister, bekommt ihre zehn Liter und reicht ihm ihren 100-CFA-Schein.
»Das macht aber zweihundert«, erklärt der Fahrer.
»Was? Das ist doch der reinste Diebstahl!«
»Ich kann nichts dafür. Der Sprit ist schon wieder teurer geworden, und das schlägt sich natürlich auf den Wasserpreis nieder. Zweihundert!«
Empörte Schreie werden laut. Das Gewühl droht in eine offene Meuterei auszuarten. Die Leibwächter schießen mehrmals in die Luft und richten ihre Waffen auf die Frauen. Denen aber nützen weder Geschrei noch Palaver, weder Diskussionen noch Verhandeln, weder Tränen noch Wut - zehn Liter Wasser kosten zweihundert CFA. Punkt. Und wenn es euch nicht passt, dann seht doch zu, wo ihr euer Wasser herbekommt! Die Frauen nehmen ihren Anteil in Empfang, zahlen den exorbitanten Preis und kehren gedemütigt in ihre Häuser zurück. Fatou, die für ihren letzten Hunderter gerade einmal fünf Liter Wasser bekommen hat, fragt sich, wie sie es schaffen soll, mehr als drei Tage damit auszukommen. Vier vielleicht, wenn sie sich nicht wäscht.
Josephine hat nicht auf sie gewartet. Sie geht allein nach Hause. Ihre Schritte sind noch mühsamer als auf dem Hinweg. Die fünf Liter Wasser wiegen schwer in ihrer Hand und noch schwerer in ihrem Herzen. Sie hat nicht widerstehen können, ein paar Schlucke zu trinken; das Wasser ist braun, voller undefinierbarer Schwebstoffe und schmeckt stark nach Schlamm. Schon jetzt rumort es in ihrem Magen. Ich werde wohl eher am schlechten Wasser sterben, als dass ich verdurste, denkt sie. Doch es ist ihr gleich. Vielleicht vergiften sich dann wenigstens ein paar Geier an ihrer Leiche.
Endlich ist Fatou zu Hause. Sie schwankt vor Schwäche. Mit einem erleichterten Seufzer stellt sie den Kanister ab. Sie hat Bauchschmerzen und das Gefühl, sich ganz schnell hinsetzen zu müssen. Aber zunächst ist Idrissa an der Reihe. Noch nicht einmal an das Sulfadoxin hat sie gedacht.
Sie schüttet ein wenig von dem fauligen Wasser in einen Becher und geht in
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